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18.07.2016
WAS SICH ÖFFENTLICH-RECHTLICHE SENDER SCHENKEN SOLLTEN
Eigenwerbung und Meinungsforschung sind abseits des Programmauftrages
Zu Jahresbeginn 2013 löste der "Rundfunkbeitrag"
das bisherige System zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen
Medien ab. Zwar soll dabei das Aufkommen insgesamt nicht steigen,
dennoch gab der Wechsel dem Bayerischen Rundfunk Anlass, seine
Zuschauer und Zuhörer in der Sendung "BR Unterwegs" über die Erhebung
von Mitteln und die dafür von Rundfunkanstalten erbrachten Leistungen
zu sprechen. In der Presse wurde zur Teilnahme als Fragesteller
und Zuschauer bei der Voraufzeichnung der Sendung am
28.11.2012 geworben. Diese Einladung nahm ich wahr, um den meines
Erachtens nicht zulässigen Einsatz von Gebühren zur Eigenwerbung und
für demoskopische Erhebungen zur Sprache zu bringen.
Die Sendung wurde am 12.12.2012 zwischen 20:15 und 21:00
im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt, auf der Internetpräsenz des
Bayerischen Rundfunks war die rund zweistündige Aufzeichnung in
vier Teilen als Video hinterlegt. Untenstehend eine Niederschrift des
Gesprächs mit Ulrich Wilhelm.
ss0928
Weitere Wortmeldungen. Was liegt Ihnen noch auf der Seele?
mh0934
Mein Name ist Markus Hiereth. Ich habe bisher nur Gebühr für's
Radio gezahlt, und die Umstellung ist mir in einer Hinsicht recht,
dass ich nicht [weiter] jährlich angeschrieben werde von der GEZ, ob
ich jetzt schon einen Fernseher habe. Das war extrem lästig. Es hat
sich technisch etwas geändert, das ist richtig. Ich nutze ab und zu
auch einen Link zum Bayerischen Rundfunk oder zu anderen
Sendeanstalten und schaue mir einen Fernsehbeitrag dann später
an. Dann zahle ich jetzt halt mal mehr. Aber wo ich sehr kritisch bin,
ist, wofür Rundfunkbeiträge verwendet werden. Da gibt es Segmente, wo
ich kein Verständnis habe, weil es einfach kein Programm ist.
mh1015
Das ist zum Beispiel Großflächenplakatwerbung in der
Stadt. Das hat vor Jahren das ZDF gemacht: 'Mit dem Zweiten sieht
man besser.' Das kostet etwas. Der Bayerische Rundfunk macht es
zur Zeit für die Abendschau. Perfide finde ich geradezu, dass die
abtretende GEZ nun für die Umstellung, für den Rundfunkbeitrag
Werbung macht. Am Isartorplatz war jede dritte
Städtereklamefläche belegt mit Prominenten, die einem das beibringen
sollten, dass der neue Rundfunkbeitrag besser sei. Und ebenfalls
als Grenzüberschreitung empfinde ich, wenn die ARD so etwas wie eine
Sonntagsumfrage macht, also Demoskopie betreibt. Ich meine, das
Wählervolk muss nicht von Rundfunkanstalten vermessen werden. Was
anderes ist es eigentlich nicht.
Ich sagte ich nutze Internet: Das kostet natürlich
auch etwas. Ich finde es sehr gut, dass man Manuskripte anschauen
kann, dass man auf der Internetseite Radiosendungen nachhören
kann. Das macht natürlich Arbeit. Da sage ich, dann muss man das so
finanzieren wie das Zeitungen auch machen: Mit Werbung. Programm
werbefrei, aber die Internetseite muss sich halt selber tragen.
ss1131
Sie finden es in Ordnung, dass wir Werbung bringen, aber
dass wir für uns selber werben, finden Sie nicht in Ordnung.
mh1139
Das ist nicht in ihrem Programmauftrag.
uw1143
Sie hatten ja ein paar Themen angesprochen. Zum einen
flankieren viele Medien ihre politische Berichterstattung mit
Meinungsumfragen, mit Demoskopie. Das machen im Bereich des Rundfunks
ARD und ZDF seit vielen Jahrzehnten. Und die Erhebungen sind über
Jahrzehnte auch ein wichtiger Bestandteil für die Bewertung und
Analyse und die Wahlsendungen am Wahlabend. Wenn sie alleine nur die
Verlässlichkeit von Hochrechnungen am Wahlabend nehmen. nach
Schließung der Wahllokale. All diese Dinge stützen sich darauf, dass
man über Jahre hinweg einen Datenkreis hat und dann sehr schön
Veränderungen über die Jahre beobachten kann. Das würde man, wenn man
immer nur am Wahlabend ein Institut beauftragt, nicht mit dieser
Zuverlässigkeit haben können. Ich weiß nicht, wie sehr Sie
interessiert sind an Wahlsondersendungen bei Landtags- und
Bundestagswahlen. Aber der Teil der Bevölkerung, der dieses Thema
wichtig nimmt, profitiert davon.
Das zweite Thema: In welchem Umfang werben wir, etwa mit
Straßenplakaten für unsere Programme. Sie haben recht, dass das nicht
im Zentrum dessen steht, wofür Gebühren oder ab 1. Januar der
Rundfunkbeitrag gedacht sind. Die sind in der Tat gedacht für die
Erstellung unserer Programme. Wir müssen aber immer wieder in einem
gewissen geringen Umfang dafür sorgen, dass unsere Programme überhaupt
gefunden werden. Dass Neugierde geweckt wird. Dass Aufmerksamkeit
entsteht für bestimmte Formate, die wir auch weiterentwickeln. Da muss
man einfach konstatieren: Vor Jahrzehnten, wo es nur drei
Fernsehprogramme gab, gab sich das geradezu von selbst, dass man
alles, was neu ist, auch gefunden hat. Heute, bei nicht nur einigen
Dutzend, sondern einigen hundert Programmen, ist das nicht mehr so
leicht. Würden wir nur im eigenen Programm darauf hinweisen, was ein
paar Stunden später im Programm kommt, erreichen wir den Teil der
Bevölkerung nicht, der sich nicht regelmäßig bei uns bewegt. Wir
wollen ja auch immer wieder Zuschauer gewinnen, die vielleicht nicht
zu unseren Stammkunden gehören. Die sagen: 'Ich habe das auf der
Straße gesehen. Finde ich spannend, ich werde da mal hinein hören oder
hineinschauen.' Ich würde Ihnen im Detail widersprechen aber im
Grundsatz recht geben, dass wir das nicht ausufern lassen dürfen,
sondern immer wieder für die Inhaltsproduktion unser Geld brauchen.
ss0006
Der kritische Zuschauer, der vorhin gemeint hat, mit der
Werbung, die da gemacht wird, sind Sie nicht einverstanden. Sie
wollen noch etwas anmerken?
mh0009
Ja. Mit dem Verweis auf Wahlberichterstattung bin ich nicht
zufrieden. Es ist ja ein Unterschied zwischen einer abgelaufenen Wahl
und Demoskopie die das ganze Jahr betrieben wird. Wie sie sich
auswirkt, sieht man ja beispielsweise bei den Piraten. Ich bin jetzt
in einer anderen kleinen Partei, aber die Piraten sind gepusht durch
hohe Umfragewerte und sind dem nicht gewachsen gewesen, konnten kein
Programm entwickeln. Und jetzt geht es genauso schnell runter wie es
hinauf gegangen ist. Das ist genau eine Wirkung der Demoskopie und das
macht jeder; dann würde ich sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk
muss es nicht unbedingt auch machen. Er kann sich da
zurückhalten [
3]. Zahlen gibt es genug.
mh0400
Ich würde mich zurückhalten mit dem Bilden von Sparten im
Programm. Ich bin Hörer von Bayern 2. Dort erwartet mich eine
Kindersendung, eine Jugendsendung, eine Religionssendung, eine
Volksmusiksendung in der Früh und ich komme irgendwie klar und es gibt
Entdeckungen. Wenn es mir nicht passt, schalte ich aus. Durch dieses
Aufspreizen in tausend Segmente wird es eigentlich monoton. Man kann
einfach nicht erwarten, dass zu jeder Zeit alles nach meinem Geschmack
auf den Tisch bekommt. Das finde ich einfach überzogen. Dann würde ich
Ihnen einen Tipp geben: Machen Sie keine Werbung, sondern verlassen sie
sich auf Qualität. Ich schicke einen Link auf eine gute Sendung die im
Internet nachzuhören ist und dann ist es OK. Mit Großflächenplakaten
kann ich nichts anfangen. Ich schaue nicht ZDF, wenn die sagen 'Mit
dem zweiten sieht man besser'.
ss0159
Das ist ihr gutes Recht, selber zu entscheiden.
uw0208
Der Versuch einer Antwort noch auf die Sachen die Sie
angesprochen haben und auch Udo Wachtveitl. Nicht jeder Mensch nutzt
Medien gleich. Der eine geht so damit um, der andere auf andere
Weise. Wir müssen ja für alle auffindbar sein. Wenn sie sich über
Links und Empfehlungen von Freunden aufmerksam machen lassen, dann ist
das gut. Wir machen ja auch sehr viel mehr in Richtung soziale
Netzwerke, um diese Möglichkeit stärker zu nutzen. Andere wiederum
vielleicht informieren sich mehr über Plakate. Da möchte ich gar nicht
werten. Wir müssen halt für jung und alt und für alle möglichen
Bereiche der Gesellschaft gleichermaßen da sein.
uw0252
Das zweite ist, wie Sie zurecht ausführen, dass
die Zeit immer schnellebiger wird. Unsere Gesellschaft, die
Nachrichtengebung in der westlichen Welt wird immer schneller, Die
Meinungsbildung erfolgt schneller. Trends werden schnell gebildet und
hinterher wieder verlassen, umgestoßen. Das ist eine Frage, die alle
Medien angeht, auch uns. Das ist eine Frage, ob man die Beschleunigung
mitmacht oder nicht und zugunsten von Erläuterung und langfristiger
Analyse das Tempo herausnimmt. Da will ich Ihnen gar nicht
widersprechen. Bei der Demoskopie ist es halt so, dass sie zunächst
einmal Informationen brauchen. Sie müssen sich ein Bild von der Lage
machen von ganz unterschiedlichen Geschehnissen und können dann
journalistisch verantwortlich entscheiden, 'Wie gehe ich mit diesen
Informationen um?' Ich glaube, dass man im politischen Journalismus
immer wieder die Daten der Demoskopie braucht. Einige erheben und
bezahlen sie, stellen sie aber dann der Allgemeinheit zur
Verfügung. Also wenn wir, ARD und ZDF diese Daten veröffentlichen,
dann kommentieren ja hunderte von Zeitungen genau diese Daten. Dann
arbeiten alle genau mit diesen Informationen.
uw0401
Ein anderer Punkt ist: 'Können wir den hohen Qualitätsanspruch,
den wir an uns selber stellen, immer einlösen?' Da muss man ein Stück
weit ehrlich sein. Wir arbeiten seit 2009 mit einem eingefrorenen
Haushalt, in der gleichen Zeit steigen Energiekosten, gibt es
Tariferhöhungen, steigen unsere Urheberrechtskosten, weil für
die unterschiedlichen Verbreitungswege zusätzliche Rechte erwerben
müssen. In der gleichen Zeit differenziert sich die Gesellschaft immer
mehr aus. Es gibt immer mehr Interessengruppen, Milieus und alle
sagen, 'Wir bezahlen für dieses Angebot. Also wollen wir uns auch
stärker darin wiederfinden.' Sie müssen für immer mehr Milieus auf
immer mehr Verbreitungswegen immer mehr Angebote machen. Dass dabei
der Qualitätsanspruch, dem wir eigentlich genügen wollen, nicht immer
in jedem Einzelfall eingehalten werden kann, ist klar. Das andere ist:
Jegliche kreative Arbeit ist ein Stück Versuch und Irrtum. Wenn jemand
ein Drehbuch, ein Hörspiel schreibt, dann hat er eine bestimmte Art
der Verwirklichung im Kopf. Ein Schauspieler versucht die
Interpretation einer Rolle und hat auch keine Garantie des
Gelingens. Ich glaube, dass man immer wieder den Mut haben muss für
ein Experiment, für eine Neuerung.
Verweise
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/br-unterwegs/BRunterwegs3UF-100.html (inzwischen nicht mehr im Online-Angebot des BR)
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/br-unterwegs/BRunterwegs4UF-100.html (inzwischen nicht mehr im Online-Angebot des BR)
Angesichts ihrer Flut trug der BR-Journalist Rudolf Erhard im Bayernkommentar vom 11.06.2016 seine Bedenken gegen die Umfragen vor. Aus ihnen sei unmöglich herauszulesen, wie der Wähler die Landespolitik beurteile. Eher offenbarten sie die politische Orientierung des durchführenden Instituts. Der Besprenkelung mit Prozentwerten überdrüssig, plädiert er dafür, die ARD möge zumindest bis ins Wahljahr von ihren Sonntagsumfragen ablassen.
Während die Entscheider diesem Ruf offenbar noch nicht folgten, sei an eine konträre Idee des ZDF-Intendanten Thomas Bellut erinnert. Die Bruchlandung der Demoskopen bei der Bundestagswahl 2013 ließen ihn jene Karenzzeit vor der Wahl in Frage stellen, in der die öffentlich-rechtlichen Sender den Wähler mit den Angeboten der Parteien "allein lassen". Bellut möchte die Zuschauer noch vier Tage vor dem Wahlsonntag mit neueren - deswegen seiner Meinung nach wohl besseren - Daten versehen.
Aber ebnen solche "besseren Daten" den Weg zur besseren Demokratie? Kaum. Vielmehr werden sie von zwei Wählergruppen gebraucht, die beide ihre Stimme nicht entsprechend ihrer eigentlichen Überzeugung vergeben. Zum einen jene, die sie einsetzen, damit eine
durch die Fünf-Prozent-Hürde gefährdete Partei im Parlament zum
Zünglein an der Waage werden kann. Zum anderen jene, die eigentlich
überhaupt nicht wählen wollen, sonderm im Stimmzettel den "Denkzettel"
sehen. Gerade sie sind darauf angewiesen, mögliche Sammelbecken
präsentiert zu bekommen. Zu unerquicklich wäre, für eine so genannte
"Splitterpartei" gestimmt zu haben. Da jede von ihnen in eine andere
Richtung unterwegs ist, beachtet sie kaum einer und der Protest
krepiert im Rohr.
Vermutlich wären, um von der fiebrigen Beschäftigung mit Trends
wegzukommen und sich obendrein Ausgaben für Wahlumfragen zu sparen,
Rundfunkräte ohne Politiker günstig. Nebenher bliebe in der
politischen Berichterstattung mehr Platz, Fakten zu vermitteln und
Zusammenhänge darzustellen.
Leider gaben bislang immer nur die Ferkeleien anderer Anlass, mit
Gebühren oder aus Steuern finanzierte Demoskopie zu problematisieren:
So thematisierte die SPD im Jahr 2010 die "Resonanzstudie" eines
CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (vgl. "Was Regierungen dürfen -
und was nicht" in der Bayerische Staatszeitung vom
13.08.2010) . Querelen innerhalb der bayerischen Sozialdemokraten
wiederum förderten zutage (vgl. Münchner Merkur vom 14.05.2016
"Umstrittene Umfragen und teure Dienste: Die Justiz ermittelte
monatelang gegen Verantwortliche der
SPD-Fraktion",
Auszug),
dass vor der Landtagswahl 2013 für die Fraktion bestimmte Mittel in
eine Umfrage geflossen sind. Die Absicht war jedesmal, die Demoskopie
möge Politikern und Parteien bei der Suche nach den Stellschrauben des
Wahlvolks assistieren.