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12.01.1999
Gentechnik in Lebensmitteln
NOVEL-FOOD-VERORDNUNG VERFEHLT UMFASSENDE REGELUNG
Vor rund zwei Jahren verabschiedete das
Europaparlament die Novel-Food- Verordnung. Verbraucher- und
Umweltverbände sparten nicht mit Kritik. Das Ziel einer umfassenden
Regelung von Bio- und Gentechnik in Nahrungsmitteln war verfehlt
worden. Über einen Artikel zur "Gleichwertigkeit"
können
genveränderte
Nahrungsmittel ohne Genehmigung, sondern mit einem einfachen
Meldeverfahren auf den Markt gebracht werden. Ungewissen blieb, was
und wie gekennzeichnet werden würde. Welche Stellung die Gentechnik im
Nahrungsmittelangebot inzwischen einnimmt, wo und wie Gesetze und
Verordnungen greifen, soll Thema dieses Beitrags
[
1][
2] sein.
1. Wo hat es der Verbraucher heute mit genveränderten
Nahrungsmitteln zu tun?
Im Angebot frischer Lebensmittel, bei Fleisch,
Molkereiprodukten, Obst und Gemüse spielt die Gentechnik derzeit keine
Rolle [
3]. Die "Antimatsch-Tomate" von Calgene blieb
eine US-amerikanische Spezialität. Anders als in den Vereinigten
Staaten werden in der EU Rinder auch nicht mit gentechnisch erzeugtem
Wachstumshormon gespritzt. Andererseits sind etliche
genveränderte Produkte
kreiert. In Großbritannien ist eine gentechnisch veränderte
Hefe für Backwaren entwickelt. Ein Hefestamm für Brauereien ist dort
ebenfalls zugelassen und der damit vergorene Gerstensaft wird von
einer Versuchsbrauerei direktvermarktet. In Großbritannien wird auch
die
Gentomate aus den USA zu Dosenpüree verarbeitet. Das Produkt wird
nicht nach Deutschland ausgeführt und ist - auf freiwilliger Basis -
als genverändert gekennzeichnet. Unter Umständen erhält eine andere
genveränderte Tomate noch in diesem Jahr (1999) eine Zulassung in der
Europäischen Union, denn die Firma Zeneca hat in Spanien für ihre
"reifeverzögerte" Tomate einen Antrag zum Anbau und zur Verarbeitung
zu Konservenware eingereicht.
Gentechnisch veränderte Organismen werden in
beträchtlichem Umfang von Zusatzstoff-Herstellern verwendet. Manuela
Schulze vom Braunschweiger Amt für Lebenmitteluntersuchung gibt an,
daß die Hälfte dieser Stoffe von genveränderten Organismen erzeugt
wird.
Ebenso fischte die Zeitschrift Öko-Test nicht
vergeblich, als sie im Frühjahr 1998 Rapshonig auf genveränderte
Pollen untersuchte. Die Funde überraschen angesichts der Tatsache, daß
in Kanada auf einem Fünftel der Rapsanbaufläche genveränderte Pflanzen
stehen, wenig. In Europa soll Gen-Mais, wenn es nach den Vorstellungen
der neuen Agro-Pharma-Konzerne Monsanto, AgrEvo und Novartis geht,
rasch vergleichbare Marktanteile erreichen. Eine von Novartis, der
früheren Ciby-Geigy, genveränderte Maissorte wuchs 1998 in Deutschland
auf einem Promille (350 ha), in Frankreich auf einem Prozent der
Anbaufläche.
2. Welche Gesetze regulieren den Sektor?
2.1. Entscheidungsprozedur
Nach der Novel-Food-Verordnung (NFV) werden
"neuartige Lebensmittel" über zwei Wege verkehrsfähig. Neben einem
Verfahren mit Antrag, Erstprüfung und Genehmigungsentscheidung (über
Artikel 4, 6 und 7) gibt es ein vereinfachtes Verfahren (über Artikel
5), welches dem Hersteller nur auferlegt, das Inverkehrbringen mit
einem gewissen zeitlichen Vorlauf zu melden. Dazu muß ein Gutachtens
zur "Gleichwertigkeit" des Lebensmittels vorgelegt werden. Keineswegs
überraschend, schlagen die Hersteller den zweiten Weg bevorzugt ein,
so meldete Novartis beispielsweise pauschal "Produkte aus
insekten-tolerantem Mais 2044". Je allgemeiner formuliert wird, desto
weniger bedeutend nehmen sich vorgenommene Veränderungen aus: An der
Stärke im Maiskorn ist nichts anders, ebensowenig am Keimöl und
angesichts des geringen Proteingehalts von Maiskörnern kommen die
Gutachter letztlich zu dem Schluß, daß trotz zweier bakterieller
Proteine im Mais eine "Gleichwertigkeit im wesentlichen" gegeben
sei. Das Genehmigungsverfahren wird dadurch erläßlich. Bis heute gibt
es nur einen Fall, in dem ein komplettes Genehmigungsverfahren nach
Artikel 4,6 und 7 zu durchlaufen ist, es geht dabei um eine Sojasorte
mit veränderter Zusammensetzung des Ölanteiles. Die Zulassungsbehörden
werden sich also mit diesem Produkt, das bekannte Stoffe in
veränderten Mengen enthält, eingehender befassen als mit anderen, die
in Lebensmitteln zuvor nicht enthaltene Stoffe aufweisen.
Marianna Schauzu vom Bundesinstitut für
gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) hält
das bloße Anzeigen des Inverkehrbringens dennoch für vertretbar. Die
gesundheitliche Unbedenklichkeit werde schon im Zulassungsverfahren
nach der EU-Freisetzungsrichtlinie sichergestellt. Auf diese
Richtlinie, die ökologische Schäden durch den Anbau genveränderter
Organismen verhindern soll, einzugehen, würde den Rahmen dieses
Beitrages über Gentechnik in Nahrungsmitteln sprengen. Erwähnt sei
jedoch, wie das zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) derzeit Pflanzen
beurteilt, auf die Antibiotika-Resistenzgene übertragen wurden. Obwohl
die Zentrale Kommission für biologische Sicherheit (ZKBS) die Bedenken
gegen solche Gene in genveränderten Nutzpflanzen teilt, kommt von
deutscher Seite kein Einspruch im Verfahren zur Zeneca-Gentomate, die
ein Kanamycin-Resistenzgen enthält. Erst in ein bis zwei Jahren will
das RKI Sorten mit Antibiotikaresistenzgenen die Zulassung
verweigern.
2.2. Geltungsbereich
Die Novel-Food-Verordnung 258/97 deckt den Komplex
"Gentechnik in Nahrungsmitteln" nicht ab. Berücksichtigung finden die
agrarisch erzeugten Rohstoffe, im Gegensatz dazu ist für die ganze
Palette industriell hergestellter Zusätze wie Emulgatoren,
Dickungsmittel, Aromen, Geschmacksverstärker und Vitamine faktisch
keine Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung erforderlich, auch wenn
sie von genveränderten Mikroorganismen gebildet werden. Es wird davon
ausgegangen, daß die Richtlinien für Aromen und Zusatzstoffe
einerseits und Novel-Food-Verordnung andererseits die gleiche
Sicherheit bieten. Bei allen mikrobiell erzeugten Stoffen kommt es
darauf an, unerwünschte oder gar toxische Produkte, die ein Organismus
unter Umständen bildet, zu erkennen und sicher abzutrennen. Die dazu
nötigen Untersuchungen aber finden mehr oder weniger in eigener Regie
des Herstellers statt. Es wird davon ausgegangen, daß ein
unbedenklicher Organismus nach Aufnahme von Erbgut anderer
unbedenklicher Organismen nichts Bedenkliches synthetisiert.
Ebenfalls nicht von der Novel-Food-Verordnung
tangiert werden die ersten genveränderten Soja- und Maissorten. Die
politische Entscheidung zugunsten ihres Imports und ihrer Verarbeitung
war bereits vor der Novel-Food-Verordnung gefallen. Inzwischen ist
eine der NFV analoge Kennzeichnung auch für Produkte aus
genverändertem Mais und Soja vorgeschrieben. Effektiv in Kraft ist
diese Nachbesserung seit September 1998, da zuvor die Art und Weise
der Kennzeichnung der genveränderten Zutaten nicht fixiert war. Auch
stand nicht fest, anhand welcher Merkmale die Einhaltung der
Kennzeichnungspflicht überprüft werden sollte. Inzwischen könnte der
Konsument dem Kleingedruckten entnehmen, wenn Gensoja oder Genmais
verarbeitet wurden. Zur Kontrolle können die Untersuchungsämter die
Lebensmittel sowohl auf eingefügtes Erbgut (DNA) als auch auf
artfremde Proteine untersuchen. Der Test auf DNA ist im allgemeinen
empfindlicher, doch eine zweite, alternative Methode vermindert
Verschleierungsmöglichkeiten. Kritikwürdig bleibt, daß die Industrie
nicht verpflichtet wurde, DNA-Erkennungs-Sequenzen offenzulegen, die
für die Entwicklung von Tests notwendig sind.
2.3. Kennzeichnung
Die NFV fordert eine Kennzeichung des Produktes
nur dann, wenn es prinzipiell möglich ist, im Labor eine gentechnische
Veränderung nachzuweisen. Folglich werden beispielsweise Margarine und
Zucker ohne Kennzeichnung bleiben, da sich Fette, Öle und
Kohlenhydrate genveränderter Organismen nicht von denen
konventioneller unterscheiden. Doch auch ein Teil positiver Nachweise
eingesetzten Erbguts oder artfremder Proteine bleiben zur Zeit ohne
Folgen. In Brüssel wird derzeit erörtert, ob genveränderte Pollen in
Rapshonig eine Lebensmittelzutat darstellen. Zudem sind keine
Grenzwerte für den Anteil genveränderter Rohstoffe formuliert. Daher
werden geringe Mengen von Genmais in Tortilla-Chips nicht als zu
deklarierende Zutat, sondern als Verunreinigung angesehen. Auf dem
Rohstoffmarkt aber werden genveränderte und konventielle Ernte nicht
getrennt gehalten und möglicherweise bewußt vermengt. Auch besteht für
Rohstoffe keine Kennzeichnungspflicht. Nach Auskunft von Michael
Warburg vom Bundesministeriums für Gesundheit umfaßt die
Sorgfaltspflicht des Herstellers allerdings, daß er seine Rohstoffe
auf etwaige Genveränderungen testet.
Daraus erwächst insofern eine Chance für die per
Volkbegehren initiierte Genfrei-Kennzeichung, als die Masse "grauer
Ware" der Branche die Notwendigkeit beschert, bei jedem Kauf Analysen
zu veranlassen. Ein Siegel "ohne Gentechnik" könnte die
Informationskette vom Erzeuger zum Verbraucher schließen. Dieses
System würde auch denjenigen entgegenkommen, die ein Manko darin
sehen, daß Gentechnik nur da kenntlich gemacht wird, wo sie durch
Analyse zu belegen ist. Die gesetzliche Grundlage, den Verzicht auf
gentechnische Methoden mit einem solchen Siegel anzuzeigen, ist
geschaffen. Ob sich ein Markt gentechnikfreier Lebensmittel etabliert,
wird die Zukunft zeigen. Die Konsumenten haben dazu dem Einzelhandel
mit Nachdruck vermitteln, diese Produkte im Sortiment zu führen.
Anmerkungen und Verweise
Es handelt sich hier um das nicht redigierte
Originalmanuskript für die Zeitschrift Ökologiepolitik.
Tilman Kluge kritisiert auf einer Seite
"
Der Gen-Unsinn" Begriffe, die andeuten, dass
genetisches Material in Nahrung bedenklich und etwas Neues
sei. Gemeint sind "Genmais" und "Gentomate" und, umgekehrt,
"genfrei" als positives Merkmal. Als Beleg, dass im vorliegenden
Artikel solche Begrifflichen nur ausnahmsweise benutzt werden,
erscheinen im Text die umgangssprachlichen Konstrukte hellgrün,
die unstrittig korrekten Atribute "gentechnikfrei" oder
"genverändert" hingegen dunkelgrün.
Übersichtstabelle
Gentechnik bei
|
Produkt
|
Land
|
zugelassen
|
gekennzeichnet
|
Tomate von Calgene
|
Dosenpüree
|
in GB auf dem Markt
|
ja
|
freiwillig
|
Hormonbehandelte Rinder
|
Fleisch
|
EU gegen Import aus den USA
|
nein
|
-
|
Hefe
|
Bier
|
Versuchsbrauerei in GB
|
ja
|
direkt vermarktet
|
Backwaren
|
in GB
|
nein
|
-
|
Mikroorganismen zur Herstellung von Lebensmittelzusätzen
|
Enzyme, Aromen, Dickungsmittel, Vitamine als Zusatzstoffe
|
EU
|
ja
|
nein
|
Hartkäse
|
EU
|
ja
|
nein
|
Sojabohne von Monsanto
|
Lecithin einer Vielzahl von Produkten
|
EU
|
ja
|
nein
|
Sojaöl in Margarine
|
EU
|
ja
|
nein
|
Sojaeiweiß ein einer Vielzahl von Produkten
|
EU
|
ja
|
nein
|
Mais
|
Maisgebäck, Cornflakes, Schokoriegel "Butterfinger"
|
EU
|
ja
|
ja
|
Tomate von Zeneca
|
Dosenware
|
EU
|
offen
|
ja
|