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Weshalb Antibiotika in der Tierhaltung illegal, aber durchaus auch innerhalb der Beschränkungen legal in riesigen Mengen verwendet werden, ist zu wenig bekannt. Keineswegs kommen sie nur dann zum Einsatz, wenn ein Tier wegen einer Infektion behandelt werden muß. Mit prophylaktischen Gaben zielen Züchter darauf ab, Krankheiten zuvorzukommen, die ihre Tiere in einem gewissen Alter häufig befallen. Wenn in großen Beständen nicht ein Tier das nächste anstecken soll, werden auch gesunde Tiere im Stall "metaphylaktisch" mitbehandelt.
Wendet man sich dem Problem von Antibiotika in der Tierhaltung zu, ist ein grundsätzlicher Punkt zu
bedenken: Tiermediziner sind Arzt und Apotheker in einer Person. Folglich verdient der Veterinär nicht nur an
der Leistung, Tiere zu untersuchen und wirksame Medikamente zu benennen. Für ihn ist die Medikamentation
auch ein Umsatzfaktor.
Schließlich sind Antibiotika auch als das Wachstum beschleunigende Mittel bekanntgeworden, weshalb die
Futtermittelverordnung eine Reihe von ihnen eigens als Futterbeimengung aufführt und diese als
"Leistungsförderer" deklarierten Zusätze im Tonnenmaßstab und rezeptfrei in die deutsche Agrarerzeugung
gehen.
Swann-Report
Bereits 1969 wurden in England im sogenannten Swann-Report moderate Korrekturen der damaligen Praxis,
nämlich dem Einsatz aller billigen Antibiotika als wachstumsfördernde Futterbeimengung, gefordert und eine
Sicherheitsphilosophie für den Einsatz von Antibiotika am Tier vorgezeichnet. In einigen Ländern wurden
Empfehlungen dieses Komitees in der Folgezeit auch umgesetzt. Eine Trennung der Einsatzgebiete sollte
gewährleisten, daß humanmedizinisch bedeutsame und wichtige Antibiotika nur gut kontrolliert und eher
restriktiv zum Einsatz kommen und Therapieversager bei Mensch und Tier vermieden werden:
l Unterste Kategorie: Antibiotika, die für den Einsatz am Patienten kaum geeignet sind. Solche Stoffe werden
unter Umständen futtermittelrechtlich zugelassen. Im Futter verkürzen sie die Zeit bis zur Schlachtreife oder
erhöhen, in der Legehennenhaltung, die Produktivität des Tieres.
l Mittlere Kategorie: Antibiotika, die zur Therapie von Tieren zur Verfügung stehen sollen und daher
in tiermedizinischen Präparationen zulässig sind.
l Höchste Kategorie: Wirkstoffe, die erkrankten Menschen mit größtmöglicher Sicherheit helfen sollen und der
Humanmedizin vorbehalten bleiben.
Schaut man sich die Liste der für die Tiermedizin freigegebenen Antibiotika an, findet man Namen, die einem
aus der Humanmedizin vertraut sind – wie Penicillin, Erythromycin oder Gentamicin. Auf die Frage, worin
denn die grundsätzlichen Unterschiede zwischen einerseits Tieren und andererseits Menschen verabreichten
Antibiotika lägen, nennt Tierarzt Reinhold Vahlefeld (Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf) dann tatsächlich auch
nicht irgendwelche Merkmale der Substanzen, sondern den Preis.
Denselben Aspekt unterstreicht auch ein von Lester Crawford präsentierter statistischer Vergleich der
Resistenzen von Keimen aus der Tierklinik der Universität von Georgia. Während bei der Mehrzahl von
Wirkstoffen im Zeitraum von 1970 bis 1979 die Empfindlichkeit der Keime merklich absank, blieb das
Antibiotikum Gentamicin recht konstant gegen vier von fünf isolierten Krankheitserregern effektiv (The
Control of Antibiotic Resistant Bacteria, Hrsg.: Stuart-Harris, London 1982).
Crawford erklärt dies dadurch, daß Gentamicin in diesem Zeitraum nicht zur Behandlung von Masttieren
zulässig war, nicht ins Futter gemischt werden durfte und der Preis des Antibiotikums relativ hoch geblieben
war. In dem damaligen Diskussionsforum wurden nicht mehr Anwendungsmöglichkeiten für das Mittel
gefordert, sondern im Gegenteil sprach man sich gegen die Erweiterung des Zulassungsbereiches von
Gentamicin aus, weil es genügend Alternativen gebe.
Ciprofloxacin und Enrofloxacin
Auch die Chinolone (Gyrasehemmer) sind nicht die "unbezwingbaren" Antibiotika, wie es die Werbung hoffen
ließ. Zehn Jahre nach Einführung der Gyrasehemmer finden sich Chinolon-Resistenzen nicht nur in Kliniken,
sondern auch bei Tieren, Lebensmitteln und in der Umwelt. Die Zulassung des Chinolons Enrofloxacin, der
einzige in der Tiermedizin zugelassene Vertreter der Chinolon-Familie, war umstritten – zumal sich
Ciprofloxacin und Enrofloxacin nur an einer Stelle des Moleküls unterscheiden; und mit einer einzigen
Abbaureaktion wird Enrofloxacin zu Ciprofloxacin.
Die steigende Resistenz gegen Chinolone ist bei Salmonellen bereits belegt: Waren 1986 und 1987 nur 0,2
Prozent der Salmonellen gegen das Chinolon Nalidixinsäure resistent, so stieg der Prozentsatz ab 1988 (dem
Jahr der Zulassung Enrofloxacins) deutlich an: Im Jahr 1990 waren bereits 13 Prozent der Salmonellenproben
gegen Nalidixinsäure resistent.
Im Jahr 1991 wurde erstmals ein Fall beschrieben, bei dem chinolonresistente Salmonellen aus Nahrung oder
Umwelt wieder den Menschen erreichen. Bei einer 11jährigen Patientin wurden Chinolon-resistente
Salmonellen festgestellt. Weitere, zugleich vorliegende Resistenzen und genetische Merkmale des Isolates
wiesen die Erreger dieses Falles als Abkömmlinge der Salmonellen aus, die Mikrobiologen schon kurz mit
"Kälberstamm-Salmonellen" ansprechen. Das Mädchen dürfte die Keime durch verseuchte Lebensmittel
aufgenommen haben, nur ihrem intakten Immunsystem kann sie es zuschreiben, daß sie auf Mittel, die
unwirksam geblieben wären, nicht angewiesen war.
Laut Reiner Helmuth vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
(BgVV) erhielt der Hersteller die Zulassung für Enrofloxacin, da er die dazu nötigen Unterlagen vorlegte und
beim Zulassungsverfahren nie ein Sicherheitskonzept hinsichtlich der Resistenzproblematik Eingang fand. So
habe dem damaligen BGA die Handhabe gefehlt, sich gegen eine Zulassung auszusprechen.
Ein nach erfolgter Zulassung unternommener Versuch der Risikoeindämmung sei der Vollständigkeit halber
erwähnt: Auf den Beipackzetteln von Enrofloxacin muß der Hersteller inzwischen darauf hinweisen, daß die
Verabreichung "nur unter Berücksichtigung eines Antibiogrammes erfolgen sollte". Dadurch ist jedoch nicht
gewährleistet, daß Enrofloxacin erst eingesetzt wird, wenn andere Mittel nicht ebenso helfen könnten. Die
Empfehlung schließt höchstens aus, daß es in Fällen verschrieben wird, in welchen schon eine
Enrofloxacinresistenz vorliegt, es somit im konkreten Fall keinen medizinischen Nutzen bringen wird, mit dem
Einsatz andererseits aber die unvermeidliche Selektion weiterer resistenter Mikroben vorangetrieben wird.
Somit könnte der Hinweis bloß verhindern, daß auch die Antibiotikafamilie der Chinolone vollends
"verschlissen" wird.
Nach 25 Jahren bewerten Fachleute den Swann-Report als einen zu zaghaft ausgefallenen Versuch, in der
Agrarerzeugung zu einem verantwortbaren Einsatz von Antibiotika zu gelangen. Die Gesetzmäßigkeiten der
Evolution und die Erfahrung haben gelehrt, daß es einen dauerhaften Sieg über Infektionskrankheiten nicht
geben kann. So bleibt nur, die Forderung nach einem sicheren Antibiotikaeinsatz am Tier auf anderem Wege
zu verwirklichen.
Management des Resistenzproblems
Allgemeine Orientierung bietet das BgVV immerhin an: Es trägt seit einigen Jahren jährlich Meldungen über
Resistenzen verschiedener Keime zusammen und veröffentlicht eine statistische Zusammenfassung zur
Resistenzlage der wichtigsten Erreger. Den Tierärzten ist damit insofern gedient, als wahrscheinlich
unwirksame Mittel nicht verabreicht werden.
Weshalb nun auf wahrscheinlich effektive Mittel setzen, wenn die rechten feststellbar sind? Das Versäumnis,
während der Zulassung Sicherheitsforderungen Genüge zu tun, könnte ausgeglichen werden, indem vom
Veterinärmediziner gefordert wird, was innerhalb seiner Disziplin immer wieder als Empfehlung ergeht: eine
gesetzliche Verpflichtung, jegliche Antibiotikaanwendung im Stall an eine Erregercharakterisierung und ein
Antibiogramm, beides mit entsprechender Dokumention beim Halter, zu binden. Diese böte eine doppelte
Chance: Sowohl illegale als auch legale, aber unnötige und unwirksame Antibiotikagaben ließen sich
eindämmen. Ein – eventuell erst ab einer gewissen Bestandsgröße eines Betriebes gesetzlich bindender –
Behandlungsleitfaden:
1. Keine Beimengung von Antibiotika in das Futter. Keine "metaphylaktischen" oder "prophylaktischen"
Gaben. Nur kranke Tiere erhalten Medikamente.
2. Für neu erkrankte Tiere werden vom Tierarzt nur die für zwei erste Behandlungstage nötigen Dosen eines
Standardantibiotikums verabreicht oder zugänglich gemacht. Zudem muß vorher eine Probe zur
Erregeridentifikation genommen werden.
3. Für diese und weitere Schritte der Behandlung werden Belege ausgestellt, die der Tierhalter aufzubewahren
hat.
4. Am dritten Tag liegen ein Laborbefund und das Antibiogramm vor. Erkennbar wird, ob der Arzt mit der
Initialtherapie und dem Standardantibiotikum richtiglag, ob er auf ein anderes einfaches Mittel zurückgreifen
kann oder ob der Erreger womöglich wirklich schon "mit einer Reihe von Wassern gewaschen" ist.
5. Amtstierärztliche Kontrollen auf Antibiotikarückstände werden ausgedehnt. Viehhaltern, in deren Beständen
Antibiotikaspuren festgestellt werden, ohne daß tierärztliche Belege zu diagnostizierten Krankheiten und
Laborberichte zu Erregern und etwaigen Resistenzen vorgelegt werden können, wird Strafe angedroht.
Unvermeidlich würden die Aufwendungen für ein solches Reglement zu Millionenbeträgen auflaufen, doch
wäre dieses Geld womöglich sinnvoller angelegt als die Milliarden, mit welchen die Forschung nach immer
neuen Wirkstoffen im Laufen gehalten wird, Neuentwicklungen aber dann doch innerhalb weniger Jahre von
der realen Biologie eingeholt werden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1996; 93: A-3396–3397
[Heft 51–52]
Anschrift des Verfassers:
Markus Hiereth
Spielmannstraße 14
38106 Braunschweig