Radio Lora, München
Markus Hiereth
© Markus Hiereth
www.hiereth.de
1410an91_4.html
18.06.2015

Spektrum 18.06.2015 17-18 Uhr über ANTIBIOTIKA IN DER TIERHALTUNG
Biochemischer Hintergrund, Praxis, Umgang mit dem Resistenzrisiko

Sendungseröffnung

Herzlich Willkommen bei einer neuen Ausgabe von Spektrum, in der sich Dinge begegnen, die weit voneinander entfernt scheinen: Die Fleischtheke beim Discounter mit Putenbrust zu 5,99 das Kilo, Massenspektrometer und Petrischale, anhand dessen sich Strukturen und biochemische Eigenschaften von Molekülen aufklären lassen und die Sprechstunde beim Doktor. Es soll um Antibiotika gehen, zu denen der Deutsche ein zwiespältiges Verhältnis pflegt. Denn ihr Ruf ist ramponiert. In der Kette der Assoziationen kommt Nebenwirkung, Resistenz wohl oft noch vor dem eigentlichen Verwendungszweck, nämlich die Behandlung von Infektionskrankheiten. Ändern werde ich mit dieser Sendung vermutlich wenig. Aber ein paar Einblicke zum Einsatz von Antibiotika bei Tier und Mensch seien versprochen. Als Redakteur begrüßt Sie Markus Hiereth.
Angela aux (2011) The sun is always above me on the run

Wirkungsweise von Antibiotika

Es braucht an sich nicht viel Chemie oder Physik, um Bakterien abzutöten: Wirksam ist schon der alkoholgetränkte Wattebausch, heißer Dampf oder eine Flamme. Schwieriger wird das Unterfangen, wenn Krankheitserreger bekämpft, aber umliegendes biologisches Gewebe geschont werden soll. Der Unterschied zwischen desinfizierenden und antibiotischen Mitteln ist, dass letztere gezielt Vorgänge stören, die in Bakterien ablaufen. in pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zellen aber entweder gar nicht vorkommen oder anders ablaufen.
Beim Penicillin, dem ersten durch Zufall entdeckten Antibiotikum, erwies sich, dass für Wundinfektionen verantwortliche Bazillen in seiner Gegenwart keine Zellwände mehr bauen können. Entsprechend konnten sie sich nicht mehr vermehren. So geraten Krankheitserreger bei einem mit Antibiotikum behandelten Patienten gegenüber dem Immunsystem in die Defensive.
Penicillin ist, wie viele andere antibiotische Substanzen, ein Naturstoff. Wie sie wirken, also die Art und Weise, in der Komponenten im Bakterienstoffwechsel gestört werden, ist dank molekularbiologischer Verfahren für alle heute eingeführten Antibiotika geklärt.
Die Einblicke in den Zusammenhang von Molekülstruktur und Wirkung ziehen für die Verwendung solcher Substanzen in der Medizin eine wichtige Konsequenz nach sich: Obwohl bei der Katalogisierung der Antibiotika ein dickes Kompendium herauskäme, die zur Therapie geeigneten und eingeführten Substanzen fallen in nicht viel mehr als ein Dutzend Gruppen. Die einer Gruppe zugehörigen Mittel stören den Bakterienstoffwechel auf ein- und dieselbe Art und Weise.

Entstehung und Auslese unempfindlicher Keime

In der belebten Natur gibt es keinen Stillstand: Das Erbgut von Lebewesen wird zwar genau genug kopiert, so dass Nachkommen mit intakten Körperfunktionen hervorgebracht werden und die Art erhalten bleibt. Doch mitunter wird Erbgut fehlerhaft kopiert.
Die Geschwindigkeit genetischer Anpassungen und die Generationsdauer hängen zusammen. Kein Wunder, dass bei einem Bakterium, das sich alle zwanzig Minuten teilt, die Zahl von Varianten, die in der Umwelt sozusagen einer Bewährungsprobe unterworfen sind, besonders hoch ist. Resistenz gegenüber einem Antibiotikum kann eine solche Anpassung sein: Wenn sich das Gen des Enzymes geändert hat, welches Ziel für das Antibiotikum ist, kann dies zwei Folgen haben. In der "normalen" Umwelt hat das Bakterium womöglich einen Nachteil, weil das Enzym seine Aufgabe im Stoffwechsel vielleicht schlechter erfüllt. Doch wenn durch die Mutation zugleich das Antibiotika-Molekül nicht mehr "andocken" kann, bleibt auch die Enzymhemmung aus. In Gegenwart des Antibiotikums hat die mutierte Zelle einen Vor- statt den Nachteil und ihre Nachkommen nehmen das Terrain ein.

Erfolg und Fehlschlag spiegeln Schlüssel-Schloss-Prinzip

Die Klärung von Angriff und Abwehr auf molekularer Ebene führt zu anderen Sicht auf unser Antibiotika-Arsenal: Es dünnt sich aus. Zwei Antibiotika, die den Mikrobenstoffwechsel auf dieselbe Art stören, werden auch gemeinsam betroffen sein, wenn dem Keim ein Konter gelingt. Eine einzige genetische Veränderung macht zwei Antibiotika wirkungslos. Der Begriff "Kreuzresistenz" wurde hierfür geprägt.
Von Bedeutung ist mithin nicht die Zahl der Substanzen, sondern wieviele Wirkmechanismen dahinter stehen. Den Wirkmechanismen entsprechen Grundstrukturen von Antibiotika, aufgrund dieser Strukturen ordnet man die Wirkstoffe Gruppen zu. So gibt es Beta-Laktame, Makrolide, Glyopeptide oder Fluorchinolone. In bloß ein Dutzend Gruppen fallen die Substanzen, die heute im Einsatz sind.
L'egojazz (2011) Geschöpfe

Tierhaltung auf einem kleinen oberbayerischen Hof


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-tierhaltung.ogg
1,1 MByte / 4 min 47 s
Um Antibiotika in der Tierhaltung geht es in dieser Sendung auf Radio Lora. Ohne die Erklärungen zum Zusammenspiel von chemischer Substanz und lebenden Organismen kann das Thema nicht behandelt werden. Doch jetzt möchte ich Sie mitnehmen in den Norden des Landkreises Freising, nach Hörgertshausen. Hier züchtet und mästet die Familie Mirlach Schweine. Ich besuchte ihr Anwesen und konnte meine Fragen dem Sohn, Stephan Mirlach, stellen
mh0117 Da haben wir jetzt wieviele? sm0120 In dem Abteil sind jetzt 27, da bin ich im Moment gerade am Ausstallen. Da passen bis zu 36 rein. mh0128 Und Ausstallen heißt, die letzte Reise oder wie? sm0136 Ja, genau. mh0137 Nach Landshut wahrscheinlich. sm0140 Nein. Die Schweine sind ja auf Stroh und haben wesentlich mehr Platz. Da habe ich praktisch eine Partnerschaft mit der Metzgerei Schuhbauer in Kirchdorf. Die mir das im übrigen auch honorieren, dass die auf Stroh sind und wesentlich mehr Platz haben ... sm0202 ... ich füttere die wesenlich langsamer, ein bisserl energieärmer, eiweißreicher. Damit ich eine schöne Fleischqualität zusammenbringe. So wie ich die füttere, würde ich mit jeder Sau am Schlachthof Geld verlieren. mh0316 Ist das so eingeteilt, dass sie verschiedene Bereiche haben? sm0323 Die haben auf der rechten Seite ihren Futter- und Freßbereich. Da vorne ist der Abkotbereich und hinten ist der Liegebereich. Unter der Abdeckung. Eine Sau ist an sich ist ein Tier, was in der Dämmerung aktiv ist. Auch wenn man von viel Licht spricht. Es mag die dunklen, gedämmten Orte. Wo er sich auch sicher fühlt. Da ist zu, da liegen sie gerne. sm1346 Für mich ist vor allem wichtig die Qualität. Das Wohlbefinden und der Preis, den ich kriege, das sind die Kriterien, die die Wirtschaftlichkeit von meiner Schweinemast bestimmen. sm1400 Allgemein geht es in der Schweinemast um Punkte wie 'Wie ist die Futterverwertung?' Also wieviel Kilo muss ich füttern, damit ich ein Kilo Fleisch kriege? Wenn die Sau schnell wächst, dann habe ich die schnell wieder draußen aus dem Stall und kann die nächste reinstellen. Also kann ich den Platz effizient ausnutzen. Dann ist wichtig, wie sind die Magerfleischanteile. Nach dem rechnet ja der Schlachthof ab. Wie sind die Futterkosten? Dementsprechend der Preis. Und Verluste natürlich. mh1437 Wie schaut das mit dem Futter aus. Der Betrieb ist nicht so groß. Dann nehme ich fast an, dass sie das auf ihren Feldern erzeugen können. sm1450 Wir können ungefähr 85 Prozent selber produzieren. Beziehungsweise einzen Teil muss ich zukaufen, aber das kaufe ich von den Landwirten rundherum. mh1503 Was ist das dann? sm1504 Gerste und Weizen. Getreide kaufe ich zu. Was ich auch noch zukaufen muss ist Sojaschrot als Eiweißträger. mh1612 Was haben Sie denn für Erfahrungen? Mit Tierärzten, Tierkrankheiten. sm1623 Grundsätzlich ist es so, wir sind relativ geschlossen. Wir kaufen sehr wenig von außen Tiere zu, eigentlich gar keine. Ab und zu mal einen Eber. Unsere Jungsauen ziehen wir selber nach. Somit haben wir einen sehr einheitlichen Gesundheitsstatus. Und wir haben eine überschaubare Herde. [...] Somit haben wir auch keine massiven Probleme. sm1657 Das darf man nicht zu laut sagen, weil es kann immer etwas einbrechen. Natürlich müssen wir unsere Schutzimpfungen machen. mh2232 Wenn Sie Antibiotika brauchen. Schauen Sie da an, was da eingesetzt worden ist? Wie berät Sie ihr Tierarzt. Was ist, wenn es einmal schief geht? Sind das Sachen, die man erfährt? sm2250 Es ist so. Wir setzen natürlich auch Antibiotika ein. Ab und zu braucht man eines. Das ist ähnlich wie in der Humanmedizin. Das, was wir haben, kann ich jetzt nicht sagen, welche Wirkstoffe da drin sind. Wir haben auch nicht viel im Einsatz. Weil, wenn wir eines brauchen, kriegen wir das vom Tierarzt und das hat bis jetzt immer funktioniert. sm2316 Dadurch, dass wir relativ selten Antibiotika einsetzen und auch nicht in den hohen Mengen, sich weniger Resistenzen bilden.

Krankheitserreger identifizieren

Antibiotika blockieren biochemische Abläufe in Bakterienzellen. Die Aussicht auf Heilung ist umso besser, je klarer ist, welcher Erreger für die Krankheit verantwortlich ist. Dieser ist aber mikroskopisch klein und nistet meist im Inneren des menschlichen oder tierischen Patienten. Mit Abstrichen von Geweben, Blutproben oder Ausscheidungen kann er im Labor identifiziert werden. Wenn tatsächlich ein Bakterium und nicht ein Virus verantwortlich ist, kann ein Antibiotikum helfen. Wobei nicht jedes Mittel gegen jeden Keim wirkt, daher nützt der bakteriologische Befund dem behandelnden Arzt.

Konzentration und Anwendungsdauer einhalten

Wenn mit einem Antibiotikum behandelt wird, muss dieses den Erreger unvermittelt in einer wirksamen Konzentration erreichen. So mögen Tabletten und das Zusetzen zum Futter bequem sein, aber ins Blut kommt der Wirkstoff schneller, wenn er gespritzt wird. Die Keime sollen keine Zeit haben, sich noch weiter zu teilen, sie sollen unvermittelt abgetötet werden. Und die Konzentration des Wirkstoffes soll aufrechterhalten bleiben, bis vermutlich auch die letzte Bakterienzelle an etwaigen Rückzugsorten erwischt wurde. Sonst würde sie sich teilen und die Krankheit käme zurück.

Behandlung zieht unvermeidlich ihre Kreise


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-verabreichungsweg.ogg
0,4 MByte / 1 min 30 s
In Wirklichkeit werden die Abläufe dadurch verkompliziert, als Haut, Schleimhäute und Verdauungstrakt der Lebensort zahlloser Mikroorganismen sind. Darunter können Bakterien sein, die mit dem Krankheits-Erreger konkurrieren. Sie werden im allgemeinen von Antibiotika-Therapien mit Mitleidenschaft gezogen, was für den Patienten von direktem Nachteil ist. Zudem machen diese Genossen auf der Haut und im Darm jede Antibiotika-Therapie mit. Mithin passen sie sich an, was ein langfristiges, indirektes Problem birgt. Sie können die Behandlungsgeschichte eines Patienten in Form von Resistenzen in sich tragen, was nur deshalb nicht auffällt, weil dessen Körper und diese Bakterien im Normalfall aufeinander eingestellt sind.
Zu dem Vorschlag, Antibiotika in einer Form anzuwenden, die Einwirkungen den Erreger konzentriert und sonstige Bakterien an anderer Stelle schont, meint der Tiermediziner Andreas Randt:
ar2224 Wenn sie heute zum Arzt gehen, kriegen sie Tabletten. Die Humanmedizin setzt über 95 Prozent der Antibiotika oral ein. Das geht bei den Monogastern sehr wohl. Zu den Monogastern gehört auch das Schwein. Es ist ja den Menschen sehr ähnlich. Und es ist richtig, dass bei der oralen Anwendung eine Begleitflora beeinträchtigt wird. Das weiß man. ar2252 Und ich glaube, hier ist der Ansatz, den wir auch mit der Wissenschaft mehr suchen müssen. Wir brauchen Medikamente, die gezielt gegen spezielle Bakterien wirken. Und wir brauchen, das möchte ich betonen, Medikamente, die nicht so stark ausgeschieden werden. ar2314 Weil ich glaube, das ist eher das Problem, die Ausscheidung über Kot. Dort haben wir eine gewisse Umweltbelastung. Die ist da. Hier müssen wir ansetzen. Wir brauchen eigentlich Medikamente, die im Körper bleiben, im Körper wirken. Das ist ganz wichtig. ar2336 Übrigens wirken auch parenteral verabreichte Medikamente. Die haben ja die Eigenschaft, dass sie den gesamten Körper anfluten. Auch wenn sie in die Vene, in die Blutbahn ein Antibiotikum geben, oder es in den Muskel spritzen oder unter die Haut, werden Sie es nicht verhindern, dass die Wirkstoffe auch im Darm ankommen.
Andreas Randt leitet den Tiergesundheitsdienst Bayern. An dieser Einrichtung geht es um die Gesundheit der Tierbestände, also darum, wie zu verhindern ist, dass Krankheitserreger sich überregional ausbreiten. Aufgrund der Tier-Zahlen und der Anpassungsfährigkeit von Erregern sind Antibiotika in diesem Zusammenhang unbrauchbar.

Die unscharfen Grenzen nicht zulässiger Vorbeugung


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-betriebsgroesse.ogg
0,4 MByte / 1 min 37 s
Randt legt Wert auf die Feststellung, dass ihr Einsatz zur Vorbeugung nicht zulässig ist, etwa beim Transport vom Züchter zum Mäster.
Im Gegensatz zur Vorbeugung oder "Prophylaxe" zulässig ist die sogenannte "Metaphylaxe": Gemeint ist damit, dass, nachdem bei einem Tier eine Krankheit diagnostiziert wurde, die ganze Herde mitbehandelt wird, weil die gegenseitige Ansteckung absehbar wäre. Da damit letztlich gesunde Tiere mitbehandelt werden, steigert diese Praxis den Antibiotikverbrauch insgesamt. Und prinzipiell gilt: Je mehr Tiere gemeinsam in einem Stall gehalten werden, desto größer der Anteil, den die Metaphylaxe am Gesamtverbrauch hat. Andreas Randt vom Tiergesundheitsdienst widerspricht:
ar1719 Was sie jetzt implementieren, ist das Bild einer großen Geflügelmasteinrichtung, wo man sehr sehr viele Tiere sieht, die in einem Raum gehalten werden. ar1741 In der Schweinemast und der Kälberaufzucht sieht es anders aus. Da gibt es unterschiedliche Abteile. [...] Ich denke, das Management ist hier entscheidend. ar1814 Das Management, die Ausbildung der Landwirte und natürlich auch, wie die Betriebe beschaffen sind. Ob sie die Möglichkeit haben, kranke Tiere zu selektieren. Dass kranke Tiere früh erkannt werden, dass man sie rausnimmt. Dass es eben nicht zu einer Verbreitung des Erregers kommt. ar1844 Das sind so Managementfragen und die Betriebe, die das umsetzen, die haben einen sehr guten Gesundheitsstatus in ihrer Herde. Da kann man nicht sagen, dass in diesen Betrieben mehr eingesetzt wird.
Jingle - LORA für ein solidarisches München

Verantwortung ist verschiebbar

Resistenzen ziehen Therapie-Fehlschläge nach sich. Streit gibt es darüber, inwieweit die Gefahr mit der Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung zusammenhängt und inwieweit die Humanmedizin selbst verantwortlich ist. An den Anfang ihres Artikels "Multiresistente Keime: Das bringt uns noch um" vom 10. November letzten Jahres [1] stellte die Wochenzeitung "Die Zeit" ein Fallbeispiel aus Niedersachsen:
Gerd-Ludwig Meyer schnauft laut und erzählt von der alten Dame, die als Patientin in seinem Wartezimmer saß. Nierenkrank war sie, dazu kam eine Harnwegentzündung, die im Laufe der Behandlung nicht besser, sondern schlimmer wurde. Er verschrieb das erste Antibiotikum - keine Wirkung. Er verordnete das zweite Antibiotikum, das dritte, das vierte, das fünfte: Gentamicin. Tetracyclin. Ciprofloxacin. Amoxicillin. Insgesamt waren es zwanzig. Keines half. "Sie sehen zu, wie ein Mensch elend leidet. Und Sie können nichts tun, gar nichts." Nach schrecklichen Tagen der Qual musste die alte Dame sterben.
Im weiteren behandeln die Autoren des Beitrags nur die Tierhaltung und sammeln Indizien dafür, dass die riesigen Ställe, wie sie Niedersachsens Agrarwirtschaft prägen, Brutstätten für die kaum mehr behandelbaren Mikroben sind. Diejenigen, die diese Sicht teilen, können Zahlen anführen, dass die Menschen, die mit der Schweinemast beruflich zu tun haben häufiger mit multiresistenten Stapyhlokokken besiedelt sind als die Normalbevölkerung. Jene, die anderer Meinung sind, verweisen auf Analysen der Resistenzgene von Mikroben. Dabei stoße man auf verschiedene Muster bei Mensch und Tier, was dagegen spräche, dass die Keime ihr jeweiliges Millieu verlassen.
Eine echte Chance, die Verantwortung eines Tierhalter für Infektionen mit gefährlichen Keimen zu beweisen, gibt es dagegen bei den sogenannten Zoonosen. Zu ihnen gehören Lebensmittelvergiftungen durch Salmonellen. Hier müssen nicht Statistiken gedeutet werden, sondern akute Erkrankungen geben Anlass, Lebensmittel, die als Auslöser in Frage kommen zurückzuverfolgen. Und tatsächlich identifizierte man Salmonellen mit mehreren Antibiotikaresistenzen in Hühnereiern.

Sicherheit durch Verzicht

Dass Probleme mit Antibiotika-Resistenzen eben nichts weiter als die Anpassungsfähigkeit von Bakterien spiegeln, gibt Anlass zu Zurückhaltung und Restriktionen im Umgang mit den Mitteln. Doppelten Vorteil hat es, wenn der Organismus eines Tieres oder Menschen dazu kommt, die Erreger "abzuräumen". Statt des Keimes schult sich das Immunsystem und würde den Erreger bei erneutem Kontakt wiedererkennen, schneller und massiv reagieren. In der Erprobung sind auch "Probiotika". Sie enthalten Bakterien, die mit den krankheitserregenden konkurrieren und ihnen das Terrain streitig machen und so die Krankheit zum Abklingen bringen. Doch, weil Antibiotika nicht zwischen guten und schlechten Keimen unterscheiden, muss sich der Arzt für ein Antibiotikum oder für diese Alternative entscheiden.

Nicht irgendeine Ware und doch Produkt

Der Verzicht auf Antibiotika zur Anhebung ihrer Verlässlichkeit ist der Hebel, diese Mittel der Gemeinschaft zu erhalten. Mit gutem Grund sind in Deutschland alle Antibiotika verschreibungspflichtig. Anderswo gehören sie zum Supermarkt-Sortiment und infolgedessen werden sie ausprobiert. Konsumenten mögen den einen oder anderen Fehlschlag hinnehmen, man hat sich ja den teuren Arztbesuch gespart. Zur Einsicht, dass ihr Handeln die Unwirksamkeit von Antibiotika letztlich befördert, fehlt sicher oft das Verständnis für die Zusammenhänge. "Aufnahmestop im Isarklinikum" lautet eine dementsprechende Zeitungsüberschrift im Münchner Merkur vom 3. Dezember letzten Jahres [2]. Berichtet wurde von einer Patientin aus Südosteuropa als Trägerin eines multiresistenten Keimes. Denkbar, dass in ihrem Herkunftsland Gesetze zum Umgang mit Antibiotika fehlen oder einfach nicht respektiert werden.
Geradeso frappierend wirkt der Tip, den "Die Zeit" in dem genannten Artikel zur Resistenzproblematik gibt: mehrfachresistente, sogenannte EBSL-Keime [... wie] auch andere antibiotikaresistente Bakterien sollten [...] möglichst breit mit Carbapenemen behandelt werden. Carbapeneme sind eine relativ neue Antibiotikagruppe, auch eine Anpassung an sie ist erwartbar. Ein "breites" Wechseln von einem zum nächsten und übernächsten Mittel verspricht keine Erfolge. An dieser Stelle stößt der Leser der "Zeit" auf ein erfrischende Naivität und noch weitere Passagen lassen fragen, wie weit der Horizont des zwölf Personen zählenden Autorenkollektivs eigentlich reicht.
Promo Lora-Förderverein - Sendeloch


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-dispensierrecht.ogg
0,6 MByte / 2 min 20 s

Eine Rolle für die langfristige Verlässlichkeit von Antibiotika dürfte auch eine schon von dem Stauferkaiser Friedrich II. gezogene Trennlinie zwischen zwei Berufen spielen: In der Humanmedizin gilt sie nach wie vor: Der Arzt untersucht und verschreibt Mittel, doch Ware sind sie nicht für ihn. Der Handel mit Arzneimitteln ist der Apothekerschaft vorbehalten. Das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt sollte das stärken, weil der Arzt unter diesen Umständen nicht aus wirtschaftlichem Eigeninteresse verschreiben wird.
Für das Veterinärwesen gilt diese Trennung nicht, Tierärzte haben das sogenannte Dispensierrecht und dürfen die Mittel, die sie verordnen, auch dabeihaben und in Rechnung stellen. Dieses Recht könne, so ein Gutachten, das das Bundeslandwirtschaftsministerium erstellen ließ, dazu führen, dass Tierärzte mehr als nötig verschreiben. Thomas Blaha von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover hält '10 bis 30 Prozent der Antibiotika-Medikation für nicht zwingend notwendig'.
Wenn zur vorhin erwähnten "Metaphylaxe" nach der Diagnose der Erkrankung eines Tieres große Beständen mitbehandelt werden, kommen erhebliche Mengen zum Einsatz. Daher wundern Schätzungen nicht, wonach gewisse Praxen vier Fünftel ihres Umsatzes mit Pharmaprodukten machen; der Mittelverkauf für sie wirtschaftlich wichtiger als die tierärztliche Arbeit wird. Anders als einige Kollegen und die Standesvertretung entrüstet es Christopher Aichinger nicht, wenn hier ein Recht der Tierärzte in Frage gestellt wird:
ca2731 Ich glaube, wir sollten dahin kommen, dass der Medikamenteneinsatz nicht das bestimmende Kriterium sein darf. Und für uns ist er es sowieso nicht. Der Tierarzt hat einen gewissen Aufschlag auf die Medikamente, das war immer schon so und das ist auch vorgegeben und es gibt auch die Listenpreise. ca2752 Ich kann nicht für die Gegenden sprechen, wo zwei Drittel aller Antibiotika hingehen und das ist leider in Niedersachsen.
Die Zukunft der eigenen Praxis in ländlichen Pulling bei Freising mit Schwerpunkt bei Rindern hängt für Christopher Aichinger nicht vom Dispensierrecht ab. Er führt zwar Bedenken an, doch meint, da ...
ca2916 Hätte ich kein Problem damit. Der Tierarzt schreibt ein Rezept. ca3107 Das kann ich jetzt genauso machen. Ich kann für ein Medikament, das ich nicht in der [eigenen] Apotheke habe, ein Rezept ausstellen. Das kann für Ihren Hund sein, das kann ich für Ihr Pferd machen und dann gehen sie mit dem Rezept zur Apotheke und der Apotheker bestellt es ihnen. ca3125 Es ist auch jetzt schon Usus. Nur: Wer kann schon soviel Antibiotika vorhalten, wenn wir reden von einem Mastbetrieb mit 5000 Schweinen? Ich glaube, das ist auch logistisch sehr schwierig.
Nur mit Formularblock und Stift kommt Christopher Aichinger einer ihn nicht wirklich belastenden Verpflichtung nach, nämlich dem Ausstellen von Abgabebelegen. Sie dienen gegenüber den Aufsichtsbehörden nachträglich als Nachweis, dass die im Zuge der Mast verwendeten Arzneimittel tatsächlich aus medizinischen Gründen durch einen Veterinär verordnet worden sind.

Verantwortung der Zulassungsbehörden

Eine Chance, Probleme durch resistente Krankheitserreger einzudämmen, liegt im differenzierten Einsatz der Wirkstoffe. Etwa, indem darauf verzichtet wird, Antibiotika aus einer für den Menschen wichtigen Gruppen an Tieren zu verwenden. Handhabe dazu gäbe das akribische Verfahren, welches auch Tierarzneimittel bei der Zulassung durchlaufen.
Eine wertvolle Substanzgruppe sind die Fluorchinolone. Ein erster Vertreter dieser Gruppe, Enrofloxacin, wurde in den 1990er Jahren für Tiere zugelassen. Von dem im Humanbereich verwendeten Ciprofloxacin unterscheidet es sich nur durch eine Etyhlgruppe, die überdies durch Enzyme der Leber abgespalten wird. Hinsichtlich der des Resistenzproblems hätte der Hersteller Bayer also gleich das in der Humanmedizin eingeführte Ciprofloxacin für Tiere zulassen können. Doch hätte das die Frage provoziert, weswegen der Stoff als Tierarzneimittel billig und im Humanbereich teuer verkauft wird.

Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-fluorchinolone.ogg
0,6 MByte / 2 min 19 s
Die US-amerikanische Food and Drug Adminstration FDA machte die breite Anwendung von Fluorchinolonen bei Geflügel für die Ausbreitung resistenter Keime beim Menschen verantwortlich. Dies veranlasste das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR 2002 zu einem Expertengespräch [3]. Man erörterte, ob aus der Entwicklung der Resistenzlage gegenüber Fluorchinolonen Konsequenzen zu ziehen sein. Dänemark stellt mittlerweile vor den Einsatz dieser Stoffgruppe bei Nutztieren so hohe Hürden, dass der landesweite Verbrauch dort gegen Null geht. Im Gegensatz dazu stieg der Verbrauch hierzulande von 8 Tonnen im Jahr 2011 auf 12 Tonnen im Jahr 2013. Der Leiter des Tiergesundheitsdienstes Bayern, Andreas Randt beschwichtigt:
ar0923 Sie sprechen ja auf die DIMDI-Studie an. [...] Und hier ist es in der Tat so, dass die Fluorchinolone bei 8 Tonnen gestartet sind und mittlerweile sind wir bei 12 Tonnen angelangt. Das liegt zum Teil daran, dass wir im Vergleich 2012 zu 2011 neue Wirkstoffe mitgezählt haben, die wir 2011 nicht gezählt hatten. Und wir hatten 2013 eine Geflügelpest-Situation, Geflügelgrippe in Putenbeständen und bei der Pute werden diese Fluorchinolone sehr häufig eingesetzt. Damit ist auch zu erklären, weshalb wir 2013 diesen Anstieg um 2 Tonnen hatten.
Auf Rückfrage wegen der behaupteten zunächst unvollstängigen Erfassung schrieb das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL:
Die Aussage, dass weitere Wirkstoffe aus der Klasse der Fluorchinolone im Lauf der Jahre als Neuerfassung hinzugekommen sind, ist nicht richtig. Um genau zu sein, ist sogar ein Wirkstoff herausgefallen, da er in Deutschland nicht mehr auf dem Markt ist.
Einer beigefügten Tabelle ist zu entnehmen, dass hinter dem Mehrverbrauch an Fluorchinolonen eigentich nur der vermehrte Absatz eines Präparats steht, nämlich der von Enrofloxacin. Der für Tierarzneimittel zuständige Abteilungsleiter des BVL, Thomas Heberer, erklärt sich den Trend schlicht mit dessen Preis [4]. Der Patentschutz für Enrofloxacin sei ausgelaufen, nun sei das Mittel zu einem Viertel des Preises bei Generika-Herstellern zu haben und auch Bayer verlange dafür nur noch halb so viel.
Wie bei Andreas Randt heißt es auch bei der Bundestierärztekammer, dass eine Geflügelgrippe-Welle Puten und Hähnchenmäster dazu gezwungen habe, Fluorchinolone in ihren Betrieben einzusetzen. Doch für Grippen sind Viren verantwortlich und gegen sie helfen Antibiotika nicht, weil Viren keinen eigenen Stoffwechsel haben. Offenbar ging es um Bakterien, die den geschwächten Vögeln zusätzlich zusetzen. Doch, nur wenn diese Bakterien nachgewiesen worden sind, träfe der Begriff Therapie. Sonst müsste von Prophylaxe gesprochen werden und die ist Andreas Randt zufolge nicht erlaubt. Zuletzt muss aus der Erklärung der Bundestierärztekammer in Sachen Fluorchinolone geschlossen werden, dass bei erkrankten Geflügelbeständen andere Antibiotika nicht mehr helfen. Dabei gelten Fluorchinolone in der Tiermedizin als Reserve-Antibiotika und so wäre zu schließen, dass die Geflügelmast in Deutschland, womöglich aufgrund der Resistenzlage, "mit dem Rücken zur Wand" betrieben wird.

Massenprodukt im Stall und/oder Lebensretter in der Klinik


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-colistin.ogg
0,5 MByte / 1 min 55 s
Bei der Aufstellung der 2013 für den Einsatz bei Tieren verkauften Antibiotika fällt die Stoffgruppe der Polymyxine aufgrund der schieren Menge ab. Zum Gesamtabsatz von 1452 Tonnen tragen sie mit 125 Tonnen bei. Sie wären damit nach den Penicillinen die zweithäufigst in deutschen Ställen verwendete Wirkstoffgruppe. In diese Gruppe fällt ein einziger Stoff, Colistin, jede fünfte Antibiotikatherapie am Tier erfolgt damit. Mit Bezug auf die Humanmedizin schrieb die Europäische Arzneimittelagentur [5]:
Colistin and tigecycline are amongst the antibiotics that have become life-saving for human patients suffering from different kinds of infections caused by multidrug-resistant bacteria.
Unter anderem diesem also "bei Infektionen mit mehrfachresistenten Keimen lebensrettenden Mittel" widmete sich der Bayerische Rundfunk in einem "Waffen schärfen, alte Antibiotika wiederbeleben" betitelten Bericht. Es werde derzeit erforscht, wie unerwünschte Nebenwirkungen von Colistin minimiert werden können. Doch der Aufwand lohne sich wegen der guten Wirkung gegen problematische Keime. Christoph Spinner, Assistenzarzt am Klinikum rechts der Isar setzt es fallweise ein.
cs0019 Colistin gehört zu den Reserveantibiotika, gehört in die Wirkstoffgruppe der Polymyxine und war in der Humanmedizin nur noch sehr selten verwendet. Man muss wissen, dass das Antibiotikum sehr schlecht verträglich ist, insbesondere Probleme [...] mit der Niere sind sehr häufig. Da wir heute aber eine Zunahme von multiresistenten Erregern in speziellen Hochrisiko-Kollektiven [haben], bei Menschen mit einer Mucoviszidose beispielsweise, [...] brauchen wir die Reserverantibiotika. mh0137 Was ist eine typische Situation, in der man zu diesem Mittel greifen würde? cs0147 Es bleibt sicherlich Reservesituationen vorbehalten. Also beispielsweise Patienten auf der Intensivstation, die schon verschiedene gängige Antibiotika bekommen haben [...] so dass vielleicht gar nicht mehr so viele andere Optionen zur Verfügung stehen.
Auf die Frage, welche Probleme es sind, denen man im Stall mit Colistin begegnet, legt Andreas Randt vom Tiergesundheitsdienst Bayern dar:
ar0635 Colistin ist ein Wirkstoff, der beim Schwein und beim Geflügel eingesetzt wird. Wie der Name schon sagt, wirkt es vor allem bei Coli-Infektionen. Das sind Darmerkrankungen die zu Durchfall führen. Die aber auch in den Blutkreislauf eindringen können. Die zu Septikämien und sehr großen Verlusten in den Beständen führen können. ar0754 Das kritische daran ist dieser Flüssigkeitsbedarf, den die Tiere jetzt haben. Ein Kalb mit einer Durchfallerkrankung kann am Tag bis zu 5 Kilo Körpermasse verlieren. Da müssen die Tiere an den Tropf gehangen werden und das ist die Problematik, dass die Tiere aufgrund des Wasserverlustes sterben.
Auch der Pullinger Tierarzt Christopher Aichinger verwendet Colistin, lässt es aber nicht mit dem Futter geben. Er greift zur Spritze ...
ca0706 Wir haben nur Injektionsware. Colistin ist intravenös, subkutan und auch intramuskulär verabreichbar. Entscheidend für die Resistenzentwicklung ist, dass man nicht unter der wirksamen Konzentration bleibt. Und, dass man es genügend lange gibt. [...] ca0736 [...] Colistin muss man zweimal täglich und das drei, vier Tage geben. mh0748 Also muss das der Landwirt machen. ca0747 Wir machen die Vorbehandlung und je nach klinischem Zustand machen wir auch die Nachbehandlung. Aber der Landwirt kriegt von uns einen Anwendungs- und Abgabebeleg mit der genauen Vorgabe, wie er es einsetzen muss. Er darf es dann einsetzen und es muss dann auch aufgebraucht sein. Das wird auch vom Veterinäramt, auch von qualitäts-sichernden Instituten kontrolliert, wo er auch als Erzeuger verpflichtet ist, es so durchzuführen.

Mastbeschleunigung mit Antibiotika ist EU-weit unzulässig

Aufgrund der Arbeit, die es bedeutet, Tiere mit der Spritze zu behandeln, ist anzunehmen, dass nur ein kleiner Teil der 124 Tonnen Colistin so verwendet wird, viel mehr mit dem Futter bei Huhn und Schwein. Weil es nötig ist?
Das Jahr 2005 brachte für die Tierhaltung eine einschneidende Änderung. Sogenannte "Leistungsförderer" im Futter durften nicht mehr eingesetzt werden. Es handelte sich dabei um recht exotische Antibiotika. Ihre Namen waren Medizinern nicht geläufig. Für die Behandlung von Krankheiten bei Menschen schienen sie irrelevant. Zur Vorgeschichte des Verbots gehört eine Änderung der Lage In den 1990er Jahren, gegen mehrfachresistente Krankheitserreger wie MRSA, brauchte man neue Mittel, zum Beispiel das Reserveantibiotikum Vancomycin. Der Haken: Der gleichen Gruppe von Wirkstoffen wie Vancomycin, den Glycopeptidantibiotika gehört Avoparcin an und dieser Stoff durfte als "Leistungsförderer", das heißt ohne Verschreibung durch einen Tierarzt dem Futter zugemischt werden, so dass Hühner und Schweine schneller wuchsen [6].
Was mit diesem Verbot von 2005 nun sei, muss sich der Leser der Zeit fragen, wenn die Autoren in besagtem Artikel zum Antibiotikaverbrauch in der Tiermast en passant das Wort Wachstumsförderung fallen lassen. Ist ihnen das Verbot nicht bekannt? Oder passt es für den Text besser, wenn im Raum steht, dass dieses Verbot nichts geändert hat? Der Frage, welches Mittel warum verschrieben wird, nachzugehen ist schwer. Bei Colistin könnte sich die Arbeit lohnen. Der Ingolstädter Tierarzt Rupert Ebner interpretiert den hohen Verbrauch dieses Mittels dahingehend, dass es sozusagen bei allen sich bietenden Gelegenheiten verschrieben wird.
Jingle - Lora München 92,4

Erfolgsaussichten vorab klären


Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-testsveterinaer.ogg
0,5 MByte / 1 min 47 s
Alles in dieser Sendung bisher gesagte mag so zusammengefasst werden, dass man der Gefahr einer Resistenzentwicklung wegen von Antibiotika besser ganz die Finger lässt. So ist es nicht, daher auch die Hinweise zu verschiedenen Wirkprinzipien, auf Verwandtschaften zwischen Antibiotika und die Deutung der Resistenzen als eine Art Verschleiss der Mittel. Der richtige Schluss ist, die neuen Mittel so lange als möglich zu schonen, sie alse nicht zu nehmen, wenn auch ein altes noch helfen würde. Dafür aber gibt es Tests.
"Antibiogramm" wird ein solcher Empfindlichkeitstest genannt. Der wichtigste Grund, keines zu machen, ist, dass Ergebnisse erst nach zwei Tagen vorliegen, weil dazu ein bakteriologisches Labor eingeschaltet werden muss. Christopher Aichinger geben Antibiogramme in seiner Tierarztpraxis dennoch Orientierung. Er greift dazu nach Befunden aus früheren Besuchen auf einem Hof.
ca0041 Also in unserer Praxis wird es so gemacht, dass wir nicht einfach ein Medikament aus Erfahrung verwenden, sondern dass wir bei dem Betrieb in regelmäßigen Abständen, oder wenn ein Tier verendet ist, oder wenn wir Körperproben nehmen. Nasentupfer, Kotproben,... Dass wir die eben einsenden und im Landesuntersuchungsamt feststellen lassen: Welcher Keim ist krankheitsauslösend [...] ca0241 [...] Dieser Keim wird auf Nährstoffplatte ausgestrichen und dann gibt es von jedem Antibiotikum ein Testplättchen, um dieses entwickelt sich ein sogenannter Hemmhof. Da, wo das Bakterium eben nicht hinwachsen kann, da ist die Substanz eben auch wirksam. Dann können wir auch ganz gezielt behandeln.
Christoper Aichinger erwähnte das Landesuntersuchungsamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheim als seine Adresse für Antibiogramme. Auch der Tiergesundheitsdienst in Grub bietet sie an, sein Leiter Andreas Randt hierzu:
ar0020 Der Bayerische Tiergesundheitsdienst hat Ende der 1980er Jahre als erste Untersuchungseinrichtung überhaupt flächendeckend Antibiogramme, sprich MHKs, das ist eine besondere Form, eine sensible Methode, der Resistenztestung entwickelt, hat sie flächendeckend bei Proben der Landwirtschaft eingesetzt und ja, wir müssen diesen Weg weiter beschreiten. ar0049 Das ist ja auch über die Leitlinien, die wir uns in der Tiermedizin gegeben haben, so gefordert, [...] mh0326 Sie sagten, es gibt Leitlinien. Da steht, ein Antibiogramm ist bei Wechsel des Wirkstoffes zu machen. Wenn Sie das durchrechnen, dann käme man darauf: Das erste Präparat hat der Landwirt eingesetzt, als er das kranke Tier gesehen hat. Angenommen, es hat nicht angeschlagen. Dann macht er einen zweiten Besuch, wendet das zweite Antibiotikum an und die Leitlinien sagen ihm dann, lasse ein Antibiogramm anfertigen. Also wäre es eigentlich vor dem Einsatz eines dritten Mittels. Oder das Antibiogramm sagt im dann, das dritte Mittel sollest Du mit Sicherheit anwenden. Ist das der Ablauf? ar0413 Wenn ich Sie korrigieren darf: Der Tierarzt verschreibt es. Der Tierarzt stellt eine Diagnose und entsprechend setzt er eine Substanz ein. Und wenn es nach 24, 48 Stunden nicht zu einer Besserung kommt, ist er verpflichtet, bevor er ein neues Medikament einsetzt, eine Erregertestung zu machen. ar0447 Dass es natürlich sehr schwierig ist, weil, wenn ich schon einmal die Tiere antibiotisch behandelt habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dort noch einen Erreger herauskitzle, eher gering. ar0500 Deswegen plädieren wir dafür, dass man sich einen Überblick über seine Herde verschaffen sollte.

Audiodatei unter
http://www.hiereth.de/multimedia/1410an/150618-testshuman.ogg
0,3 MByte / 1 min 03 s
Auf welche Gruppe von Antibiotika ein Krankheitserreger ansprechen müsste, lässt sich also testen, wenn ein bakteriologisches Labor es schafft, ihn anzuzüchten und man ihm zwei Tage gibt. Solche Dienste richten sich natürlich nicht bloß an Veterinäre. Welche Rolle spielen sie in der Humanmedizin? Dazu Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der TU München:
cs0635 Das ist [...] vom Erkrankungsbild des Patienten abhängig [...] cs0656 Während wir im ambulanten Bereich mit begrenzten ökonomischen Ressourcen möglichst viele Patienten gut behandeln müssen - Stichwort kalkulierte Antibiotikatherapie. Das heißt, wir kennen bestimmte Erreger, die bestimmte Krankheiten verursachen. Die nimmt man dann an und behandelt sie kalkuliert; und würde erst eine Testung durchführen, wenn sich keine Besserung ergibt. So sind wir in der Klinik darauf angewiesen, gleich nachzuschauen, welcher Erreger vorliegt. Zum Beispiel bei einer schweren Blutvergiftung ist für das Überleben wichtig, welcher Erreger diese Blutvergiftung verursacht und gegen welche Antibiotika er empfindlich ist.

Unbedarftheit und Grusel gehen Hand in Hand

Als kalkulierte Therapie bezeichnete es Christoph Spinner, wenn niedergelassene Ärzte ohne vorherige bakteriologische Untersuchung Antibiotika verschreiben. So lässt das Fallbeispiel, mit dem "Die Zeit" ihrer Leserschaft die Gefahren durch mehrfach resistente Mikroorganismen vermittelt, sicher nicht so bezeichnen. Die Schilderung des Nienburger Arztes, er habe Gentamicin. Tetracyclin. Ciprofloxacin. Amoxicillin, insgesamt zwanzig verschiedene Antibiotika gegeben, keines habe geholfen und die Patientin sei gestorben, weil ihr nicht zu helfen war, läßt fragen, ob und warum er nicht an eine Testung des Erregers dieser Harnwegsinfektion gedacht hat. Und auch auf das Rechercheteam wirft es ein seltsames Licht, dass die Existenz von Resistenztests in dem groß aufgemachten Beitrag außen vor bleibt. Fiel in keinem der Telefonate und Interviews das Wort Antibiogramm? Zugegeben: ein Eingehen darauf hätte dem wundervollen Grusel geschadet, den diese Ausgabe "Der Zeit" bereithielt.

Sendungsabschluss

Wir sind damit am Ende dieser Ausgabe von Spektrum über Menschen, Keime, Tiere und die ramponierten Wunderwaffen der Medizin, die Antibiotika. Als Redakteur und Autor verabschiedet sich Markus Hiereth.
Gnadenkapelle (2011) Hey Yvonne, du wuide Kua [7]
Sonnit (2008) You