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27.08.2013
GIBT ES EINEN GRÜNEN KAPITALISMUS?
Sicht von Markus Zimmer, Mitarbeiter am IFO-Institut in München
Anmoderation
Es gibt keinen grünen Kapitalismus, war am 28. Mai bei der Veranstaltung des Vereins für solidarische Perspektiven eigentlich Konsens gewesen. Zu meiner Biografie gehören allerdings auch Wahrnehmungen, die dem Glauben an einen grünen Sozialismus ebensowenig förderlich sind: Vom Aroma kohlebeheizter Dörfer und Städte bekam ich noch in den Studienjahren in West-Berlin zu schnuppern ab. Stinkende und giftige Schwefelverbindungen müssen es gewesen sein, die die Chemiewerke von Bitterfeld freisetzten. Damit verpestete Luft zog es ins Abteil, als der Nachtzug 1979 durch diese Gegend kam. Berlin war damals Ziel meiner Schulabschlussfahrt gewesen.
Beitrag
Daniel Tanuro hatte keineswegs behauptet, dass jene, die aufgrund von Karl Marx' ökonomischen Analysen im 20. Jahrhundert anders wirtschaften wollten, dabei gleich auch gewisse ökologische Einsichten aufgenommen hätten. Sein Lager könne jedoch auf diese frühen Einsichten hinweisen und sei angesichts der aktuellen Probleme aufgefordert, an den entsprechenden Stellen weiterzudenken.
Alleingelassen wird die Linke dabei nicht, zumindest, soweit es um's Theoretische geht. Markus Zimmer, Volkswirtschaftler am IFO Institut, wählte aus Daniel Tanuros Manuskript zur Ökologie bei Marx ein Zitat, beschäftigte sich auch mit dessen Kontext im Buch "Das Kapital" und findet, dass der Gelehrte Gehör verdient, nicht nur im eigenen Lager, sondern auch bei überzeugten Kapitalisten.
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Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, [wie] die Bedürfnisse. Aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen.
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Dann kommt er auf den Kern der Sache, der für alle politischen Systeme gelten muss. Das ist jetzt auch kein Statement gegen den Kapitalismus oder für den Sozialismus. Er sagt nämlich weiter
Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch und die assoziierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden. Ihn mit dem geringsten Kraftaufwand unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen.
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Was Marx hier anspricht, ist aus meiner Sicht, was man heute als die drei Säulen der Nachhaltigkeit bezeichnet. Das ist alles gut zusammengefasst. Er redet hier von dem vergesellschafteten Menschen, das ist die soziale Komponente der Nachhaltigkeit, dann redet er von dem assoziierten Produzenten, das ist die ökonomische Seite der Nachhaltigkeit, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell mit der Natur regeln, was dann die ökologische Seite ist.
Markus Zimmer vom IFO-Institut sagt, ein sozialistisches, genau wie ein kapitalistisches System, genau wie die hier gepflegte "soziale Marktwirtschaft" muss nachhaltig sein um bestehen zu können. Die anstehenden Probleme sind hinreichend bekannt. Da fragt sich, wer greift ein, wenn offensichtlich auf Kosten zukünftiger Generationen gewirtschaftet wird? Wenn Tier- und Pflanzenarten verschwinden, weil ihre Lebensräume zerstört werden, wenn Atommüll anfällt, der über erdgeschichtliche Zeiträume Gefahren birgt, wenn schließlich die Wirtschafttätigkeit von 4, 5, 6 Generationen das Klima verändert hat.
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Umweltprobleme sind in unserer Geschichte, in unserer Industrialisierung nichts neues. Die Umweltprobleme haben wir in allen industriellen Nationen gehabt. Alle haben in diesem Prozess ihre Umwelt zerstört und im Laufe der Zeit mühsam wieder aufgebaut. Heute haben wir eigentlich wunderbare ökologische Verhältnisse hier in Deutschland.
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Jetzt ist die Frage, welches System ist am besten geeignet, um diese Nachhaltigkeit zu erlangen. Da hat sich meiner Meinung nach gezeigt, dass die soziale Marktwirtschaft recht gut mit den Umweltproblemen umgehen kann, so lange sie auf nationaler Ebene stattfinden. Also mit dem Wachstum und dem Reichtum, der mit der Zeit akkumuliert wurde, kommt auch ein Bedürfnis der Gesellschaft nach guten Umweltbedingungen und das wird in einer demokratischen sozialen Marktwirtschaft auch umgesetzt. Also eine saubere Umwelt für das Volk. Das ist in den Alternativen nicht unbedingt besser der Fall, eher schlechter als in der sozialen Marktwirtschaft.
Markus Zimmer und die Wissenschaftler des IFO-Instituts liefern Verbänden, Unternehmen und politischen Entscheidern Gutachten. An seiner Einrichtung, dem Zentrum für Energie, Klima und erschöpfbare Ressourcen geht es dezidiert um Instrumente der Wirtschaftspolitik: Welche Effekte zeitigen sie? Mit welchem Instrument ist welches Ziel am besten erreichbar?
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Ein Schwerpunkt ist der Abbau von erschöpfbaren Ressourcen. Dabei denkt man zur Zeit an fossile Brennstoffe und dann deren Regulierung, des Abbaus oder der Nutzung. Was da ein weiterer Schwerpunkt ist, dass man sich das aus Sicht des Angebots anschaut. Also es wird sehr viel nur motiviert aus Sicht des Verbrauchers, des Konsumenten. Da ist die Wirkungsmaßnahme gut analysiert und bekannt. Man hat aber eben, wie ich das erläutert habe, die Seite des, meinetwegen des Ölscheichs, der eine ganz andere Logik dahinter hat. Der eben auch durch diese Steuern, die auf Seiten des Konsumenten auferlegt werden, betroffen ist und entsprechend reagiert. Das ist der Schwerpunkt, mit dem wir uns beschäftigen.
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Es gibt viele Dinge, die national gemacht werden, die viele Zielsetzungen haben, die nicht unbedingt direkt auf die Vermeidung CO2-Ausstoß abzielen, wo viele Zielsetzungen miteinander verbunden werden und durcheinander gehen. Wo es dann Innovationsförderung, wo es Wirtschaftförderung gibt, wo es damit verbunden auch eine Verminderung des CO2-Ausstoßes geben soll.
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Aber wenn man jetzt sagt, man möchte auf Vermeidung des Klimawandels schauen, dann sind da hauptsächlich drei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Eine ist der Zertifikatehandel, der entsprechend ausgebaut werden müsste. Eine weitere wären sogenannte Border-Taxes. Eine dritte wären international harmonisierte Steuern auf CO2 erhebt.
Allen drei Instrumenten haften Markus Zimmer zufolge Probleme an. Bei einem müsste für jede Ware ermittelt werden, wieviel Kohlendioxid bei ihrer Herstellung freigesetzt wird, das andere erfüllt den Wunsch, konjukturelle Schwankungen zu dämpfen, nicht. Beim Zertikatehandel schließlich, den Europa praktiziert, sind die Verschmutzungsrechte zur Zeit so billig, dass Kohlekraftwerke laufen und Gaskraftwerke überwiegend stehen, obwohl es vom Kohlendioxidausstoß pro gelieferter elektrischer Energie genau umgekehrt sein müsste. Markus Zimmer beurteilt die Situation folgendermaßen:
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Ich glaube, die Verbrennung von Kohle ist nicht das Problem. Die Zertifikate sind deswegen so günstig, weil der CO2-Ausstoß schon so weit gesunken ist. Im Prinzip ist das System so erfolgreich, dass die Preise so niedrig sind. Wir sind auch weltweit wirtschaftlich nicht so in einer guten Lage. Wenn man sich in einer weltweiten Rezession befindet, ist auch zu erwarten, dass das Wachstum niedriger ist und damit auch die Menge an ausgestoßenem CO2 niedriger ist und damit die Preise von Zertifikaten niedriger sind.
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Aber es ist nicht der alleinige Effekt. Es ist tatsächlich so, dass sehr viele günstige Vermeidungsmöglichkeiten gefunden wurden. Jetzt ist die Frage, was macht man jetzt? [...] Das Problem ist, dass man durch diese niedrigen Preise keine Anreize gesetzt werden können, um weitere notwendige Investitionen in eine Infrastruktur, wie sie für eine Energiewende benötigt werden, zu tätigen.
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Ja, da ist jetzt die Frage, was macht man. Jetzt ist einer der großen Vorteile eines Handelssystems ist ja, dass man sagt, man schafft da einen Markt. Jetzt hat man diesen Markt geschaffen und der sagt jetzt eben vier Euro. Jetzt ist man unglücklich damit. Jetzt will man den Markt wieder abschaffen und sagt, wir brauchen mindestens 20, 30 oder 80 Euro, um diese Infrastruktur zu schaffen. Das ist der Konflikt, der da herrscht. Wenn man Vorstellungen von einem Preis hat, dann soll man einen Preis setzen, wenn man Vorstellungen von einem Markt hat, dann soll man den Markt den Preis finden lassen und die Menge bestimmen.
Im April entschied sich das EU-Parlament mit einer dünnen Mehrheit von Konservativen und Liberalen gegen den Vorschlag, Zertifikate vom Markt zu nehmen, um die Preise aus dem Keller zu bringen. Kein "marktfremder" Eingriff wäre dagegen, weitere Sektoren der Wirtschaft zum Kauf von Verschmutzungsrechten zu verpflichten. So ist der Verkehr ein wesentlicher Emittent, wobei über die Untauglichkeit des folgenden Ansatzes Einigkeit besteht.
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Also man muss sich vorstellen, wenn ich jetzt mit meinem Auto fahre, dann müsste ich schauen, wieviel Sprit ich da verbrauche. Dann müsste ich hinterher für das Benzin, das ich verbraucht habe, Zertifikate kaufen.
Der Verwaltungsaufwand wäre allerdings vertretbar, wenn die Mineralölwirtschaft die Zertifikate für die Menge Kohlendioxid, die bei der Verbrennung ihrer Produkte in Motoren oder Heizungsanlagen entsteht, kaufen müsste. Natürlich würden diese Kosten, gleich der Energiesteuer heute, auf die Preise umgelegt. Markus Zimmer trägt Bedenken vor.
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Tja. Das würde voraussetzen, dass das wirklich verbrannt wird. Jede Raffinierie würde sich auf den Standpunkt stel-len, das ist ja in flüssiger Form, in Kanistern, das ist ja kein CO2. Also es ist praktisch schwierig, allein von allen Emittenten alle Treibhausgasemissionen zu erfassen und zu kontrollieren, ob die Zertifikate überhaupt gekauft wurden.
Abgebrüht agiert die Luftverkehrsbranche, nachdem die zunächst gratis verteilten Verschmutzungsrechte nun an der Zertifikatebörse gekauft werden sollten: Die europäischen Fluglinien gingen auf die Barrikaden, ebenso machten verschiedene Regierungen, etwa die US-amerikanische und die chinesische, Druck um zu verhindern, dass das Anfliegen europäischer Ziele mit der Verpflichtung zum Erwerb von CO2-Zertifikaten verbunden worden wäre. Die EU gab sich in der Folge konziliant, räumte der Branche einen Aufschub ein und wartet jetzt das Ergebnis des nächsten Treffens der IATA ab, unter deren Dach sich Fluglinien weltweit zusammengeschlossen haben. Europa hat damit vorerst auf einem Alleingang verzichtet. Dass die Wirtschaft überall auf der Welt gleiche Bedingungen vorfinden müsse, ist offenbar Kanon in weiten Kreisen der Volkswirtschaft. Wobei die vergeblichen Anläufe auf den Klimakonferenzen der letzten Jahre, sich auf ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zu einigen, befürchten lassen, dass die von den Allerträgsten bestimmte Politik dem blauen Planeten und der Menschheit nicht gut bekommen wird. Die Tragweite getroffener und nicht-getroffener Entscheidung ist immerhin kein Streitgegenstand mehr.
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[...] Ich finde, das ist symptomatisch, warum und wie dieses Problem des Klimawandels nicht gehändelt wird.
[...] Wir werden eine Lösung finden, weil wir langfristig eine finden müssen. Selbst der kapitalistischste Kapitalist wird einsehen, dass wenn er weiterhin Profite machen möchte, dass er eine Einschränkung des Klimawandels benötigt. Die Frage ist, wann kommt diese Einsicht.
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Im Moment scheint einfach der Druck und die wirtschaftlichen Schäden, die jetzt schon da sind, nicht groß genug zu sein, um da das Bewußtsein zu schaffen dass man eine gemeinschaftliche, solidarische Lösung braucht. Wo man vielleicht einen Teil der nationalen Souveränität zurückstellen muss um eben diesem Problem zu begegnen.