Radio LORA, München
Markus Hiereth
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27.08.2013

GIBT ES EINEN GRÜNEN KAPITALISMUS?
Sicht von Daniel Tanuro, Buchautor

Anmoderation

Im Mai stand im Eine-Welt-Haus bei einem Abend, den der Verein für solidarische Perspektiven organisiert hatte, eine Grundsatzfrage zur Diskussion: "Gibt es einen grünen Kapitalismus?" Mit anderen Worten. Sind die kapitalistische Wirtschaftsweise und endliche Ressourcen sowie die begrenzten Lasten, die Naturkreisläufen auferlegt werden können, miteinander vereinbar?

Beitragsteil a

Eine Antwort auf diese Frage durften sich die Gekommenen von dem Belgier Daniel Tanuro erwarten. Er schrieb ein Buch mit eben jenem Titel: "Gibt es einen grünen Kapitalismus?". Mit einem "Nein, den gibt es nicht" als Antwort war eigentlich zu rechnen, denn über den Vortragenden hieß es in der Einladung, er sei Ökosozialist.
Vielleicht bezwecktee er mit zwei kurzfristigen Entscheidungen des Tages Überraschung: Die erste brachte die Organisatoren des Abends ins Schwitzen: Er stieg am Ostbahnhof nicht aus dem Zug, in dem er erwartet worden war. Und den Zuhörern unterbreitete er nicht die Grundzüge seines Buches, sondern referierte über die Ökologie bei Karl Marx. Dass auch sie irgendwo in seinem über 150 Jahre altem Werk nistet, werden die wenigsten wissen. Auch ich war neugierig, was da kommen würde.
Bevor sich Daniel Tanuro jedoch ins Erbe Marx' vertiefte, drängte ihn, anhand von Daten zum Treibhauseffekt an die Dringlichkeit der ökologischen Probleme zu erinnern. Paul Kleiser übersetzte ins Deutsche.
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Die Klimaerwärmung ist die sich am klarsten abzeichnende Begrenzung. Wenn wir das Klima stabilisieren wollen, muss der Energieverbrauch in der EU um 50 Prozent vermindert werden und um 75 Prozent in den USA. Das sind Zahlen der UN.
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Das kann nicht ohne Minderung von Produktion und Transport erreicht werden. Es reicht nicht, das Wachstum zu begrenzen, wir müssen die Produktion schrumpfen lassen.
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Die auf fossilen Energieträgern basierende Produktion muss innerhalb von zwei Generationen ersetzt werden.
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Dieser Umbau erfordert Investitionen und damit zusätzlichen Energieverbrauch. Daher zusätzlicher Treibhausgas-Ausstoß. Dieser muss anderswo im Energiesystem ausgeglichen werden.
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Daher braucht es einen Plan, der auf Energieeffizienz und nicht auf Kosteneffzienz beruhen muss.
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Ich vermute, wir sind uns einig, dass das im Rahmen des Kapitalismus unmöglich sein wird. Es wäre absurd zu glauben, der Kapitalismus folge einem Plan und verzichte auf den Profit als das Kriterium für Investitionen.
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Kapitalimus beruht auf Anhäufung. Wenn wir das Klima retten wollen, müssen wir den Kapitalismus loswerden.
Innerhalb eines kapitalistischen Systems sind keine Entscheidungen zu erwarten, die den ökologischen Grenzen Rechnung tragen. Daniel Tanuro folgert, zum Schutz des Weltklimas müsse die Energiewirtschaft vergesellschaftet werden.
Inwieweit nun Marx' Theorie und in ökologischen Zusammenhängen gründende Forderungen einhergehen, wird in marxistischen Kreisen unterschiedlich gesehen. Eine Gruppe findet bei Marx bloß ökologische Mutmaßungen. Eine andere Gruppe hingegen erklärt, schon Marx sei die Ökologie ein Kernanliegen gewesen. Daniel Tanuro meint, dies gehe zu weit. Allerdings kann er mit einer Reihe von Zitaten belegen, dass Marx im "Kapital" und anderen Schriften von Ausbeutung eben nicht nur in Bezug auf die menschliche Arbeit sprach, sondern für ihn die Ausbeutung von Menschen eben eine spezielle Ausbeutung der Natur war.
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"Die Kraft der Menschen und der Erde sind die einzigen zwei Quellen des Wohlstandes, die sich der Kapitalismus zu eigen macht."
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Zweitens setzt die Verwertung der Arbeitskraft voraus, dass diese von den anderen materiellen Ressourcen getrennt wird, dies ist [nichts anderes] als die kapitalistische Aneignung des Bodens.
Daniel Tanuro hält fest, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht nur plündere und entfremde, sondern es darüber hinaus auch ungerecht verteile: Das Kapital genehmige sich das Beste; denjenigen, die arbeiteten, bliebe weder ein angemessener noch ein sicherer Anteil dessen, was die Natur und die Arbeit hervorbringe.
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Drittens erlaubt das Monopol auf Grundbesitz den Eignern den Ertrag als Rente zu vereinnahmen; auf Kosten von anderen Sektoren des Kapitalismus und der Gesellschaft.
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Das bedeutet, dass eine als Konsument angesehene globale Gesellschaft zuviel zahlt für die Produkte des Bodens, was eine Verschwendung von Arbeit bedeutet.

Beitragsteil b

Sie hören die Sendung "Trotz alledem". Die Frage, ob Kapitalismus und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen sind, steht im Mittelpunkt der heutigen Ausgabe. Der Buchautor Daniel Tanuro meint, nein und zitierte im Eine-Welt-Haus Ende Mai etliche Passagen aus Karl Marx' Werken, die zu denken gaben. Denn in ihnen umreisst der Philosoph Schwierigkeiten, mit welchen die Landwirtschaft erst im 20. Jahrhundert so richtig zu tun bekam. Bedingt seien diese Schwierigkeiten durch eine Annäherung von Landwirtschaft und Industrie.
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Ich zitiere in Englisch: "Large-scale industry and large-scale mechanised agriculture work together. If distinguished originally by the fact that the first lays waste and destroys principally labor-power, hence the natural power of human beings, whereas the latest more directly exhausts the natural vitality of the soil, they join hands in the further course of development in that the industrial system in the countryside also enervates the laborers, and industry and commerce on their share supply agriculture with the means for exhausting the soil"
Große Industrie und industriell betriebene große Agrikultur wirken zusammen. Wenn sie sich ursprünglich dadurch scheiden, daß die erste mehr die Arbeitskraft und daher die Naturkraft des Menschen, die letztere mehr direkt die Naturkraft des Bodens verwüstet und ruiniert, so reichen sich später im Fortgang beide die Hand, indem das industrielle System auf dem Land auch die Arbeiter entkräftet und Industrie und Handel ihrerseits der Agrikultur die Mittel zur Erschöpfung des Bodens verschaffen.Das Kapital III, Kap. 47, MEW 25, S. 821
Daniel Tanuro fand im Werk "Grundrisse" von Karl Marx generelle Erwartungen zur Zukunft der Landwirtschaft: Der Kapitalismus werde die Wissenschaft stimulieren, so dass aus agrarischen Erzeugnissen durch künstliche Behandlung weltweit begehrte Produkte hervorgehen. Diesem Schema entspricht Tanuro zufolge der Anbau von Energiepflanzen. Oder dass aus die Ernte vom Feld in der Tiermast - so heißt es - zu Fleisch "veredelt" wird. Auch Züchtung und Gentechnik dienten sich dem Kapital an. Auf Daniel Tanuro wirkt Marx sogar ein Stück weit fasziniert von all dem.
Zugleich reibt sich dieses Erblühen mit der erwähnten Überzeugung, dass die Allianz von Industrie und Landwirtschaft letztlich den Boden, also die Grundlage der eigenen Produktion, ruinieren werde. Dabei wäre allerdings auch darauf zu verweisen, dass diese Allianz keine Besonderheit des Kapitalismus ist.
Dennoch könnten sich sozialistische Staaten lahmer und zahmer geriert haben, denn deren Planzahlen waren ja vom einem prinzipiellen Bedarf abgeleitet. Im Kapitalismus hingegen ist das Mehr-und-billiger-Erzeugen Bedingung zum Überleben von Unternehmen am freien Markt. Neue Produkte stellen sich einfach als neue Möglichkeit der Profiterzielung dar, egal, ob diese Produkte nachhaltig erzeugt werden können oder ob sie notwendig sind. Allein die Nachfrage zählt. Daniel Tanuro weist hier auf den Unterschied von Gebrauchs- und Tauschwert hin.
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Im Kapital stellt er klar, dass erstere, Gebrauchswerte, dadurch begrenzt sind, dass die menschlichen Bedürfnisse endlich sind, wohingegen zweitere, die Tauschwerte, unbegrenzt sind, weil am Anfang und am Ende dasselbe steht, nämlich das Geld. Daher hat die Bewegung von Geld / der Umlauf des Kapitals kein Ende.
Die Vielfalt und die Menge der Waren auf einem "freien" Weltmarkt mag groß sein, doch in Bezug auf die landwirtschaftliche Erzeugung und die Rohstoff-Förderung prophezeit Marx im Kapital, dass ein mit Wissenschaft und Technik einmal erlangtes Niveau nicht zu halten sein wird. Vielmehr stellten sich früher oder später Engpässe ein, weil die Agrarproduktion pro Fläche und Zeit genau wie die im Laufe der Erdgeschichte entstandenen Bodenschätze begrenzt sei.
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Es dreht sich um Landwirtschaft. Marx schreibt im 3. Band des Kapital. "Suppose labour-saving machinery, chemical aids, etc., are more extensively used in agriculture, and that therefore constant capital increases technically, not merely in value, but also in mass, then in agriculture (as in mining) it is not only a matter of the social, but also of the natural productivity. It is possible for the increase of social productivity in agriculture to barely compensate, or not even compensate, for the decrease in natural power - this compensation will nevertheless be effective only for a short time."
Gesetzt, daß Arbeit sparende Maschinerie, chemische Hilfsmittel etc. hier einen größern Raum einnehmen, [...] so handelt es sich bei der Agrikultur (wie bei der Bergwerksindustrie) nicht nur um die gesellschaftliche, sondern auch um die naturwüchsige Produktivität der Arbeit [...]. Es ist möglich, dass die Zunahme der gesellschaftlichen Produktivität in der Agrikultur die Abnahme der Naturkraft nur kompensiert oder nicht einmal kompensiert - diese Kompensation kann immer nur für eine Zeit wirken -, so daß dort trotz der technischen Entwicklung das Produkt nicht verwohlfeilert, sondern nur eine noch größere Verteuerung desselben verhindert wird. Kapital III, Kap. 45, MEW 25, S. 775
Für die Gesellschaft und eine kapitalistische Welt sagt Marx ein Auseinanderdriften voraus: Im Raum Spannungen zwischen erster und dritter Welt, zwischen Stadt und Land; in der Zeit wiederum ein Pendeln zwischen Rausch und Kater. Daniel Tanuro hält etliche globale Phänomene für Ausprägungen dessen, was Marx vorhersagte.
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Steigende Agrarpreisschwankungen
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Ungleichgewicht der Investitionen in Nahrungsmittel und [sonstige] landwirtschaftliche Erzeugnisse.
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Ein Beispiel sind die massiven Investitionen in Biokraftstoff anstelle von Nahrung.
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Er sieht drittens vorher, dass es in der Nahrungsproduktion eine Bevorzugung von Fleisch gegenüber pflanzlichen Produkten geben wird. Es gibt sogar eine Stelle, an welcher er die Fleischproduktion als nicht notwendig bezeichnet.
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Er erweitert diese Vorhersage auch in Bezug auf die Fischerei, Steinbrüche und natürliche Wälder, weil die Grundstoffe kostenlos sind.
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Marx hat bemerkenswerterweise die kriminelle Aneignung und Zerstörung der Wälder vorhergesagt.
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Fünftes sagte er vorher, dass in Krisenzeiten sich das Kapital sichere Orte für den Profit suchen wird, [also] Land und natürliche Rohstoffe, die eine Rente abwerfen, da damit nicht das Risiko echter Produktion einhergeht.
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Das sehen wir seit der Finanzkrise, die 2008 anfing. Mit dem Greifen nach Grundstücken, Land im Süden, nach Wäldern zum Nachweis von CO2-Emissions-Kompensation und dergleichen.
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Von daher meine ich, dass es bei Marx wesentlich mehr als ökologische Ahnungen gibt.
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Seine Meinung über Landwirtschaft und Kapitalismus ist sehr interessant.
Daniel Tanuro suchte im Werk des Philosophen auch nicht vergeblich nach einer Vorstellung für ein ökologisches Wirtschaftssystem. Dieses klingt an in einem Text, worin Marx den Menschen zusammen mit seiner unbelebten und belebten Umwelt als Organismus deutet. Dessen Stoffwechsel müsse ausbalanciert werden. Ein Recht zur Nutzung der Natur falle allen Generationen zu und in einem weiteren Zitat belegt Daniel Tanuro, dass dies für Karl Marx in einer Linie steht mit der Ablehnung der Sklaverei.
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"From the standpoint of a higher economic form of society, private ownership of the globe by single individuals will appear quite as absurd as private ownership of one man by another. Even all simultaneously existing societies taken together are not the owners of the globe. They are only its possessors, its usufructuaries, and, like boni patres familias, they must hand it down to succeeding generations in an improved condition?"
Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen. Das Kapital III, Kap. 46, MEW 25, S. 784

Abmoderation

Eine Passage aus dem dritten Band des Kapitals, in der Karl Marx umreisst, was heute unter dem Begriff Nachhaltigkeit läuft, war der Ausgangspunkt eines Gesprächs, das ich mit Markus Zimmer vom "Zentrum für Energie, Klima und erschöpfbare Ressourcen" am Münchner IFO-Institut führte.