Die Münchnerinnen und Münchner sind aufgerufen, am 17. Juni über den Bau einer 3. Startbahn am Flughafen München abzustimmen. Mehr als 30000 Unterschriften hatten Grüne, Freie Wähler, ödp und Organisationen wie Bund Naturschutz und VCD sowie einzelne Aktive gesammelt. Nachdem dies fest stand, formierte sich eine Initiative pro Flughafenausbau. In ihr wirken CSU, die Münchner SPD und FDP; sie präsentiert sich mit Prominenten als Fürsprecher, mit Unternehmen und Organisationen als Bündnispartner.
Etwa der Industrie- und Handelskammer und der oberbayerischen Handwerkskammer. Unter den Schlossern, Metzgern und Heizungsbauern in Freising hat deswegen ein Rumoren eingesetzt. Aktiv wurde der Bodenleger Ulf Mühlner; er sammelte Unterschriften. Markus Hiereth traf ihn dabei am vorletzten Samstag am Rande des Freisinger Wochenmarkts.
Ich bin Ulf Mühlner, Bodenleger, in der Handwerkskammer eingeschrieben pflichtmäßig. Laut Handwerksordnung von 1954. Ich habe ein Problem entdeckt bei der Handwerkskammer, die sich öffentlich für den Bau der 3. Startbahn ausgesprochen hat, bei dem Bündnis "Ja zur 3. Startbahn"
Wo wohnen Sie denn?
In Freising. Wir sind betroffen vom Bau der 3. Startbahn. Das ist auch ein Aspekt, den ich auch sehe: Dass ich die 3. Startbahn nicht befürworte. Für mich geht es auch darum, dass die Handwerkskammer keine politische Organisation ist, die sich zu so einem Thema, das offensichtlich ein Politikum ist, äußern sollte. Ich finde, die muss neutral bleiben.
Dieser Beitritt zum Bündnis ist rund zwei Wochen alt. Haben Sie Erklärungen gekriegt, wie sich das ergeben hat?
Ich habe das letzten Sonntag erfahren. Anruf Montag vormittag.
Ich habe das Telefonat mit dem Herrn Burger geführt und hab' mich so vom Tisch geputzt gefühlt. Ich kam mir sowas von nicht wahrgenommen vor, obwohl der Herr Burger von Weltoffenheit sprach und die dritte Startbahn dient zur Kommunikation und er hat mir nicht zugehört. Hat nicht gehört, dass ich gesagt hab, dass sich die Handwerkskammer dazu öffentlich äußert. Das hat ihn gar nicht interessiert.
Was mich auch noch sehr geärgert hat war die Aussage, das wird nicht so sein wie beim Tierpark Hellabrunn, der sich dann aus diesem Pro-Bündnis zurückgezogen hat. Es ist im Präsidium beschlossene Sache, dass man dabeibleibt. Das ist mir aufgestoßen als denkender, weltoffener Mensch. Wo ich mir dachte: Herr Burger, wir sind nah dran, hören Sie erst uns zu, bevor Sie der Welt zuhören wollen.
Deswegen habe ich mich so geärgert, dass ich diese Sache hier gestartet hab' mit der Bitte an den Herrn Traublinger, diese öffentliche Stellungnahme zurückzunehmen.
Heinrich Traublinger ist ja auch politisch aktiv.
Heinrich Traublinger war Mitglied des Landtags. Eine politische Ausrichtung die hat er einfach, das kann er haben, das ist nicht meine Ausrichtung, solange er sich in politischen Fragen neutral verhält.
Unterschriftenlisten liegen vor uns. Wie ist die Ausbeute?
Die Ausbeute würde ich jetzt nicht an den Unterschriften festmachen. Meine Ausbeute ist, dass ich mit mindestens 40 Gewerbetreibenden gesprochen habe, da ist das Feedback so, dass ich weiß, dass das richtig ist, was ich mach'. Es unterschreiben viele, eigentlich alle, die ich anspreche.
Ich schließe, dass Sie nicht differenzieren. Es ist eine Meinungsbekundung.
Nein, da differenzier' ich ganz eindeutig. Leute die unterschreiben wollen, frag ich, wer sie sind, frag ich, ob sie unterzeichnungsberechtigt sind für ihr Gewerbe. Es sind auch Leute dabei, die ihre Handwerkskarte mitbringen.
Von 82 mittlerweile kontaktierten Handwerkern unterschrieben 80 Ulf Mühlners Aufruf an das Präsidium der Handwerkskammer, sich vom Bündnis pro 3. Startbahn zu distanzieren. Ihnen stärkt nun ein Verband den Rücken. Bei einem Termin mit Vertretern der Freisinger Handwerkerschaft stellte der Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern, Kai Boeddinghaus, die rechtliche Situation dar.
Sie sind Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern. Wie haben Sie denn von diesem Vorgang in München erfahren?
Wir sind von einem Mitglied in unserer Region über die Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung informiert worden. Dann habe ich das gemacht, was ich in solchen Fällen immer mache. [...] in dem Fall habe ich Herrn Mühlner einen Brief geschrieben und habe unsere Unterstützung angeboten und einen Erfahrungsaustausch angeregt.
Was ist denn das Ziel Ihres Bundesverbands?
Das große Ziel was wir verfolgen ist die Abschaffung des Kammerzwangs. Wir glauben, dass mit der Abschaffung des Kammerzwangs tatsächlich eine Reform der Kammern eingeleitet wird, die sie dazu zwingt, wieder als Selbstverwaltungorgane der Wirtschaft sich auf das eigentliche Kerngeschäft zu konzentrieren mit der Folge, dass tatsächlich die Beiträge sinken können und dass diese Einmischungen, die hier gerade in München Thema sind, um die dritte Startbahn, dann tatsächlich auch Geschichte werden.
Es steht im Raum, wie dieser Beitritt zum Bündnis zustande gekommen ist. Die Handwerkskammer scheint sich schwer zu tun, darzustellen, wie das zustande gekommen ist. Wie würden Sie diesen Vorgang interpretieren?
Ich muss natürlich mit Wertungen von außen vorsichtig sein. Aber nachdem was mir die Kollegen hinsichtlich der Zeitachse gesagt haben, muss ich ganz ehrlich sagen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Entscheidung innerhalb der Handwerkskammer entsprechend den gesetzlichen Regeln zustande gekommen ist. Alleine die Gründung des Bündnisses und dann die Beitrittsentscheidung, das ist ja so kurzfristig passiert, da hat ja wohl das entscheidende größte Gremium, die Vollversammlung nicht mehr getagt.
Entscheidend aber scheint mir zu sein, dass die Form des Engagements, nämlich das alleinige Zurverfügungstellen des Logos für diese Bündnis-Flyer unzulässig ist. Weil unzweifelhaft gibt es Minderheitenvoten in die andere Richtung und das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich gesagt, dass solche Minderheitenvoten auch dargestellt werden müssen und in der verkürzten Form, 'ich gebe mein Logo' zur freien Benutzung einer solchen Initiative pro 3. Startbahn, kann das mit der Darstellung der Minderheitenvoten gar nicht funktionieren.
Ist das jetzt ein Beispiel für das, was auf Ihrer Internetseite beziehungsweise Veröffentlichungen auftaucht, nämlich gewisse Demokratiedefizite?
Definitv. Also klassische Aufgabenüberschreitung, da ist auch die formale Legitimation auch nicht da. In Hinblick auf das Zustandekommen oder Nichtzustandekommen kann man ganz klar sehen, hier ist ein erhebliches Demokratiedefizit, und zwar in der Binnenorganisation der Kammer. Dass es immer noch viel zu viele Kammerfunktionäre gibt, die noch nicht einmal ein Gefühl dafür haben, dass es dieses Defizit gibt und die müssen bei den Reformbemühungen tatsächlich auf's Altenteil geschickt werden.
Die Handwerkskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Was müsste das eigentlich für Konsequenzen haben?
Zwei Dinge dazu: Das sind nicht nur Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft. Beides hat Konsequenzen. Weil es Zwangsmitgliedschaft gibt und das ein Grundrechtseingriff ist, gelten für diejenigen, die dort Mitglieder sein müssen, besondere Schutzrechte, nämlich dann, wenn es um die Meinungsäußerung geht. Man sagt, 'Weil du Zwangsmitglied bist, darf diese Körperschaft dann aber nicht alles tun. Für Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt insgesamt ein Mäßigungsgebot.
Was für Handlungsmöglichkeiten haben denn jetzt diese Zwangsmitglieder oder Untergliederungen? Wir haben jetzt hier Kreishandwerkermeister bei dem Treffen gehabt.
Also die erste Möglichkeit wird ja jetzt hier aufgegriffen, nämlich die Kommunikation suchen. Im Grunde ist es ja so, dass die Handwerker in Freising jetzt das tun, was die Kammer nicht gemacht hat, nämlich sie suchen die Kommunikation. Und das ist gut und es steht sehr zu wünschen, dass es auf dieser Ebene zu einem Erfolg kommt. Und dann ist natürlich auf dieser Eskalationsskala nach oben alles möglich, bis hin zu einer Klage, wenn die Kammer nicht einlenkt. Wenn die Handwerker sagen, das wollen wir uns nicht bieten lassen: Wenn sie's heute nicht lernen, werden sie beim nächsten Mal den Fehler gleich wieder machen.
Das Gespräch mit Kai Boeddinghaus vom Bundesverband für freie Kammern führte Markus Hiereth. Er richtete auch Fragen zum Hergang des Pro-Startbahn-Bündnis-Beitritt an die Handwerkskammer München und Oberbayern. Etwa, woher der Anstoß gekommen war, welches Kammergremium in welcher Weise abgestimmt hat, wie der Beschluss lautete und wem er zugänglich sei. Antwort: "Die Handwerkskammer ist dem Bündnis nur ideell beigetreten. Finanzielle Verpflichtungen ist sie nicht eingegangen" Hinter der Entscheidung steht der Vorstand, der Beschluss sei im Umlaufverfahren gefasst worden. Geschäftsführung und Präsidium halten daran fest, dass die 3. Startbahn für den Flughafen unerläßlich sei. Obgleich §21 der Handwerks-Satzung zufolge der Vorstand für Angelegenheiten der Kammer-Verwaltung zuständig ist und er nach §22 allenfalls "eilige Sachen" ohne Sitzung auf schriftlichem Wege entscheiden kann.