Die Hitze der Julisonne über der Hildesheimer Börde hat nachgelassen. Mit je einem Recorder machen sich drei Gruppen des Ferien-Radiokurses der evangelischen Jugend auf den Weg durch Groß-Lobke. Die erste Aufgabe im Kurs lautet: In der Umgebung Stoff für ein Geräusche-Raten sammeln und da versprechen die Pfade hinter den Scheunen, die belebte Hecke und der alte Baum mit rauschendem Laub mehr als die geraden Straßen, auf der Autos und Laster unterwegs sind. Am Rand des Ortes erreichen Teresa, Shannon und ich eine Wiese in der sich wirklich einiges tut: Im Dickicht der Halme zirpt es und summend sind Insekten von Blüte zu Blüte unterwegs. Sobald aber Aufnahmegerät und Mikrofon in Betrieb gesetzt sind, wird es leise; anscheinend wollen weder Grashüpfer noch die Nektarsammler ins Radio. Und der Himmel, in dem stahlgraues Gewölk allmählich dichter wird und in dem es bereits ab und an blitzt und grummelt, wird aufgezeichnet doch nur eine müde Nummer sein.
So wenden wir drei uns wieder dem Dorf zu. Jenseits eines Zaunes auf der linken Straßenseite tut sich etwas, auf das wir unser Mikrofon richten könnten: Da trifft es sich gut, dass vor dem Wohnhaus gegrillt wird. Mit etwas Glück sitzt der Besitzer des Anwesens mit am Tisch. So frage ich in die Runde nach Erlaubnis. Mit den beiden Mädchen will ich auf die andere Seite des Zaunes, um aufzunehmen, was eine Schar der Gänsen hier im Obstgarten so zu palavern hat.
Unser Anliegen wird in anderer Weise aufgenommen: Bettina Oelkers, die Landwirtin, bietet an, die Gänse, für die sie auf dem Hofe zuständig sei, an den Zaun kommen zu lassen und natürlich nehmen wir an. Sie verschwindet in der offenen Scheune zwischen Gerätschaften zum Ackerbau. Es dauert nicht lange und am Gehsteig vernehmen wir deutlicher und lebhafter werdendes Geschnatter. Um die dreißig Gänse wackeln links-seitwärts, dann rechts-seitwärts, dem Zaun immer näher kommend aber immer schön beisammen bleibend unserem schon eingeschalteten Mikrofon zu.
Wir sind zuversichtlich, dass nun eine Aufnahme entsteht, mit der man sich im Kurs später sehen und hören lassen kann. Ich denke, das ist auch die Gelegenheit, von Bettina Oelkers etwas über ihre Schützlinge zu erfahren ...
Die Gänse sind das ganze Jahr in den Obstgärten, die lieben Obst. Wenn das Obst dann von den Bäumen fällt. Das Obst, was man selber nicht mehr aufsammeln möchte, ist für die ein ganz tolles Erlebnis, dann jagen die jedem Apfel nach. Die haben ja wirklich eine tolle Zeit, von Mai bis Dezember. Und im Dezember sind sie dann so rund geworden, dass man sie als Weihnachtsbraten haben möchte ...
Das mag zwar so sein, allerdings redet unsereins jetzt, im Sommer nicht freimütig und gern über menschliche Hintergedanken und die frappierende Überschaubarkeit dieses Gänse-Daseins. Insofern zurück zu Gänsen im Federkleid, zu ihrer Größe und Statur ...
Also das ist jetzt eine Rasse, die relativ groß wird. Wenn die den Hals lang machen, können die einem durchaus bis zur Hüfte gehen. ...
Und die Tage, in welchen sie, rund und flaumig, darauf angewiesen waren, dass ihnen Schutz gewährt wird, liegen so weit nicht zurück. Bettina Oelkers kauft ihre "Gössel" im Frühjahr bei einem Züchter; bei ihm seien sie Ende April / Anfang Mai geschlüpft und nun, gut zwei Monate alt, haben sie ...
... schon das Gefieder der ausgewachsenen Gans, auch ungefähr schon die Größe der ausgewachsenen Gans. Aber wenn man genau hinguckt, ist die Gestalt noch nicht ganz ausgeprägt. Der Rumpf ist noch ein bisschen schmal, schlank. Wenn die im Herbst über die Weide laufen, dann werden die immer schwerer, tiefer. Dann kann man auch erkennen, ob das jetzt eine männliche oder weibliche Gans ist. Ganter oder Gans. Die Ganter sind ein bisschen größer, die haben auch ein bisschen anderes Verhalten, sind ein bisschen macho-mäßiger, sag' ich mal. Und die Gänse verhalten sich ein bisschen passiver. Aber das kann auch unterschiedlich sein. Genauso wie beim Menschen, wo es auch große und kleine Frauen oder Männer gibt.
Für unser ungeschultes Auge böten bloß die wenigen weißen Einsprengsel an Hals, Brust oder Rumpf im ansonsten grauen Gefieder eine Chance, eine Gans oder einen Ganter in der Schar wiederzuerkennen. Unter ihresgleichen kennt gans sich hingegen durchaus. In einer Schar Heranwachsender beobachtet Bettina Oelkers Rollen und Aufgaben ...
Es gibt immer Wächter. Die schlafen so zwei- bis dreimal am Tag. Da haben sie so Zeiten, wo sie ruhen, dann sitzen sie zusammen, in der Gruppe. Aber eine Gans passt immer auf. Mindestens eine, wenn nicht zwei, sind mehr oder weniger wach und gucken, ob irgendwo ein Feind kommt und die anderen sind auch sofort aufmerksam, wenn dieser Wächter sagt: Aufwachen.
Auf Nachfrage hin stellt die Landwirtin klar, dass solche Dienste auf Zeit vergeben sind. ...
Ja, die wechseln sich ab, das sind nicht immer die gleichen Gänse die aufpassen. Man kann, wenn die Tiere beobachtet, einzelne ausmachen, die führen oder die zutraulicher sind, die mehr Selbstbewusstsein haben als die anderen. Sie mögen das überhaupt nicht, wenn sie nicht miteinander sind.
Eine gewisse Ordnung pflegen die Gänse nicht nur unter sich, sie schätzen sie auch für den Tagesablauf. Bei den wenigen Handgriffen, ihr als "Hauswartin" zufallen, richtet sich Bettina Oelkers danach.
Morgens und Abends mach' ich denen die Tür zur selben Zeit auf. Das kann auch mal eine halbe Stunde später oder früher sein. Aber wenn ich morgens um sechs hingehen würde obwohl ich sie normalerweise um acht 'rauslasse, dann würden sie schon ein bisschen komisch gucken.
Tags zuvor hatte Bettina Oelkers den Zugang zum Stall früher als normal aufgemacht und stiftete auf diese Weise Konfusion.
Gestern abend hatte ich zum Beispiel die Situation, dass ein Teil der Gruppe schon in den Stall reingegangen war und die anderen hatten sozusagen 'den Bus verpasst'. Die hatten das nicht mitgekriegt. Oder eine hatte vielleicht ein bisschen Angst und wollte nicht durch die Tür gehen. Dann sind die im Garten rumgelaufen und waren so 'wo sind denn die jetzt' haben gesucht und haben auch immer gerufen. Und irgendwann hatten sie auch gemerkt 'wir müssen auch da lang, es ist ja Abend. Wir müssen zu Bett, sozusagen.' Und als sie sich wiedergefunden haben, haben sie sich begrüßt und waren zufrieden. Da kehrte dann wieder Ruhe ein.
Da waren sie also versammelt im Stall, gedachten des einen oder anderen gefallenen und schon verdauten Früchtchens samt Wurm. Ein Sommer und ein Herbst im Gras unter den Obstbäumen war den Gänsen auf diesem Hof in Groß-Lobke immer vergönnt und, nachdem sich Bettina Oelkers gern dieses Federviehs annimmt, wird dies auch künftig so sein ...
Das ist ein bisschen so eine Tradition. Gänse gab es hier immer auf dem Hof. Irgendwann habe ich mich darum gekümmert und durch Beobachtung vieles herausgefunden. Was mir besonders gefällt bei den Gänsen ist dieses soziale Verhalten. Dass sie sich untereinander fast ein bisschen menschlich verhalten. Oder man das ableiten kann, was sie tun: Wenn sie eine eigenen Familie haben, die Küken so toll beschützen. Das finde ich faszinierend und macht mir großen Spaß.