Markus Hiereth
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kultur/1003ma
11.03.2010

MACBETH IM GETRIEBE EINER FORTGESCHRITTENEN ZEIT
Shakespeares Drama getanzt am Braunschweiger Staatstheater

David Rossteutscher und Daniela Indrizzi in Macbeth

Dekadenz, der Sog an den Abgrund ist das Thema dieser Tage. In seinem Macbeth hat William Shakespeares den Figuren den Weg dorthin moralisch und physisch vorbestimmt. Die meisten gehen ihrer Lebenssäfte verlustig und werden - bestenfalls von Wenigen betrauert und halbwegs würdig - unter die Erde gebracht. Wie lädt Eva-Maria Lerchenberg-Thöny und das Tanzensemble am Braunschweiger Staatstheater diesen Stoff von Neuem auf? Bezüglich der Akteure menschlich in wundervollem Sinne: David Rossteutscher in der Hauptrolle und Daniela Indrizzi als Lady Macbeth zeigt das Stück zu Beginn als füreinander bestimmt. Sinnlicher Magnetismus wirkt nicht nur zwischen den beiden, sondern er reicht noch bis in die hintersten Reihen des Parketts. Seine Bewegungen sind flammenhaft wandelbar. Über die linke Hand lässt er sich rückwärts drehend fallen und findet zurück in den Stand. Er rollt über den Rücken und wird am Tanzboden punktgenau zur Kerze im stahl-grau-blauem Trikot. Leben jedoch ist wallendes Blut in Venen und Arterien. Mit Lady Macbeth, diesem in dünner Seide von loderndem Rot delikat verpacktem Geschöpf, fasst er es.

Ballett des Staatstheaters Braunschweig: Tanz der Hexen in MacbethDaran, dass mit Lieben und Geliebtwerden die Welt nicht komplett beschrieben ist, erinnert ein von Anfang an auf der Bühne sitzendes vermummtes drittes Kleines, ein Gnom. Er harrt aus und lässt gewiss sein, dass das Gute nicht bleibt. Ihm zuarbeiten wird kaltes Streben nach oben, der Hunger nach Spiegelung des Ich im schnöden Sinn.

Nicht unbedingt willentlich begibt sich Macbeth in diese Gefahr, vielmehr wird er zuerst theatral und dann bühnentechnisch in sie versetzt. Und zwar, nachdem uns Zuschauern eine Schar geradeso verlotterter, aber langbeinigerer Gesellinnen des Gnoms über die Schultern und an den Ort des Geschehen gekrochen sind. Ihrem Hexentanz überlässt Macbeth die Bühne und guckt verängstigt aus einer Ecke zu. Die Demo der Furien braust schließlich ein Gemenge aus Tondokumenten von Kanzlern und Kanzlisten unserer Republik ab. Ihr Regierungs-Erklären stimmt auf Macht und die Mächtigen der Gegenwart ein, deren Agieren dieser Abend im weiteren weidlich reflektiert.

Macbeth bescheidet sich anfangs noch damit, ein Rädchen in Kreisen zu sein, von welchen es heißt, dass sie die "besseren" seien. In ihrer Mitte scheint er nicht schlechter als andere. Auf Wendigkeit kommt es an. Freie Sprossen auf der Karriereleiter ergeben sich oft genug, denn der Umgang hier ist nur an der Oberfläche ehrenwert. Entsprechend bleibt Schwelgen und Taumeln im Walzer auf die Donauwellen-Partitur eines Johann Strauß beschränkt. Beim Tanz dieser Gesellschaft hakt es unentwegt. Denn die Herren behalten sich die langstreckten Beine der Damen als Mittel der Auseinandersetzung vor.

Jiri Kobylka und Roman Katkov in MacbethTrocken und wie boshaft erfährt in dieser modernen Version des Dramas eine Figur um die andere ihre Erledigung. Macbeth selbst sticht nur einmal, rasch und kurzentschlossen zu. Rechtfertigend vor sich wird er "hygienische" Gründe anführen: Einer wusste zuviel. Dem roten Faden Shakespeares, wonach eine Schuld die nächste, ein Unheil das andere gebärt, ist die Braunschweiger Tanztheaterchefin Eva-Maria Lerchenberg-Thöny treu und strickt mit ihm ihre Version des Macbeth.

Sicher ist die eine oder andere Masche weit geraten. Offensichtlich etwa bekommt in einer Szene die Kunstkritik ihr Fett ab. Doch abgesehen davon, dass man sich unwillkürlich auf die Seite des Opfers - eine mit Zeitungspapier gespickte Tänzerin - schlägt: Von einer Teilhabe der Medien an der Macht war eben im 16. Jahrhundert nicht arg viel bekannt. Letztlich aber zählt, ob das unseren Tagen entnommene Beiwerk aus dem Shakespeare'schen Drama einen McBeth gemacht hat.

Dass die Antwort nein lautet erklärt sich vor allem durch das Wie und die Tiefe, mit der der Abend die Sinne anspricht. Arvo Pärts teils verlorene, teils sich majestätisch aufbäumende Musik und der Tanz sind ernst und innig miteinander verflochten. Das Ensemble vermittelt überzeugend eine Lesart des Dramas, derzufolge ein verrohter, schließlich kaputter Täter einmal voller Hoffnungen vor dem eigenen Leben stand.

Ihm selbst bleibt dabei jedoch noch in der Fülle von Macht der Glanz verwehrt. Schon sein Aufstieg war Fall und spröde wird gezeigt was passiert, wenn die Zeit abgelaufen und schließlich auch die Hauptfigur weg muss. Da wird dieser Mensch, samt des übergroßen Möbels an welchem er klammert, gekippt. Eine letzte bittere Note liegt in der Nicht-Inszenierung seines Abgang: Er vollzieht sich als stummer Fall ins Dunkel, gerät zur "Entsorgung", womit dieser Macbeth einer Wegwerf-, Massen- und Mediengesellschaft auf den Leib getanzt ist.

Markus Hiereth
© SUBWAY Medien, Fotos: Staatstheater Braunschweig