Der sattsam vertraute Konflikt zwischen Wirtschafts- und Umweltbelangen erblüht zur Zeit am nördlichen Rand Braunschweigs bizarr. Im Westen sind die Hangars und der Hauptbau des Flughafens noch sichtbar, im Osten steht ein geschützer Wald, in dessen Namen "Querumer Forst" mit "Querum" der Name einer uralten Siedlung und darin wiederum Quercum, das lateinische Wort für die Eiche anklingt. Eigentlich freundlich setzt die Sonne den schneebeckten Wald ins Licht, doch in seinem Inneren her legen Arbeiter mit schwerem Gerät die Bäume um. Denn 60000 von ihnen stehen der Fliegerei im Weg, wie der Braunschweiger Ratsherr Peter Rosenbaum darlegt.
Es geht formal um die Erweiterung des Flughafens, von 1700 auf 2350 Meter, weil VW darauf besteht, weil ein paar Minuten für Interkontinentalflüge dann eingespart werden.
Das Management legt Wert darauf, mit jedem Flugzeug der Flotte sozusagen "vor den Werkstoren" abzuheben und non-stop auf die Fertigungsstätten in China oder Brasilien zuzujetten. Vollbetankte dickere Maschinen kamen auf der bislang am Flughafen Braunschweig-Wolfsburg verfügbaren Piste nicht hoch. Politiker sahen darin ein Problem und ließen mit der Idee einer Flughafen-Erweiterung nicht locker. Uta Ernst von der Bürgerinitiative Hondelage-Dibbesdorf über die Kräfteververhältnisse im Braunschweiger Rat.
Die politischen Verhältnisse sind so, dass die drei Parteien CDU, SPD und FDP für den Ausbau sind und die drei anderen Parteien, das heißt, die Grünen, die BIBS und die Linken sind für den Erhalt des Waldes, haben aber nicht die Stimmenmehrheit.
Schon Jahrzehnte streitet man um Betrieb und Erweiterungen des Flughafens. Der Asphalt für einige hundert Meter mehr Piste im Westen war noch nicht kühl, schon richtete sich der Blick zum Querumer Forst im Osten. Auf Bedarf und Bedeutung des Flughafens angesprochen, verwiesen die Politiker im Aufsichtsrat der Flughafen-GmbH immer auf Arbeitsplätze, auch der wattige Begriff "Forschungsflughafen" war ihnen lieb. Ratsherr Peter Rosenbaum zufolge wird die Anlage nur vor Ort für voll genommen. Da der nächste Verkehrsflughafen nur eine Dreiviertelstunde entfernt, in Hannover, liegt, existieren keine Zahlen, mit welchen sich ein Bedarf ernstlich belegen lässt.
Der Flughafen wird niemals ein Regionalflughafen werden. [...] es gibt da keine Förderung. Der Flughafen hat jedes Jahr Verlust, im Moment liegen wir bei 2,4 Millionen. Die Landebahnverlängerung würde 30 bis 35 Millionen kosten. Das müsste die Stadt Braunschweig zur Hälfte auch noch bezahlen, das ist letztlich ein Prestigeprojekt. Das einzige was erkennbar ist, ist wirklich VW.
Der an die Piste neu anzustückelnde Asphalt mag billig sein. Doch Bürger im Flughafenumfeld haben den Eindruck, dass die Politiker und Planer die Sägen in den Forst bestellten, ehe das Problem einer die Piste querenden Straße gelöst zu haben. Das Land Niedersachsen hatte etwa signalisiert, dass es nicht bereit sei, Kosten für eine dann nötige Untertunnelung zu tragen.
Man liest daraus, man plant zehn Jahre und weiß noch nicht einmal, wie die Straßenführung gehen soll. Und die einzelnen Waldbesitzer: Da wurde noch nicht einmal gefragt, ob die das verkaufen oder wie das ist. Das ist die Planung hier. Das ist schade von unseren Politikern, ob das CDU, SPD oder FDP ist. Das sind Schwachköpfe. Es ist bedauerlich, dass das Recht des Einzelnen so missachtet wird.
Der bedeutendste Eigentümer hingegen erwies sich als relativ gefügig, was nach einer Durchleuchtung seines Innenlebens nicht überrascht. Es ist die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die uralten, einst enteigneten kirchlichen und klösterlichen Besitz verwaltet und Erträge daraus verteilt. Das Stiftungspräsidium formen Repräsentanten des öffentlichen Lebens der Region. Die Spitze zu besetzen, trug man dem Braunschweiger Oberbürgermeister an. Quasi in letzter Minute schloss diese Stiftung mit der Flughafengesellschaft einen Erbpachtvertrag und der Oberbürgermeister vertritt anscheinend die Auffassung, dass dieser Vertrag rein eine Angelegenheit der Stiftung sei.
Das ist ja auch noch so ein Ding. Obwohl ich bin Ratsherr der Stadt, und habe gesagt, ich will diesen Erbbaupacht-Vertrag sehen. Das haben wir schon vor Weihnachten gesagt. Jetzt, letzte Woche Freitag ist uns vom Oberbürgermeister mitgeteilt worden: Och, das hätte er ja gar nicht. Alles was er hat, muss er dem Rat zeigen.
Denn die Stiftung, würde jetzt ein intaktes Waldstück mit Leben wiederkriegen als versiegelte, als tote Fläche. Das wäre wirklich einmalig und würde allen Zielen, die jetzt die Kirche erklärt hat, vollkommen widersprechen.
Dank moderner Ausstattung braucht es für die Transformation von Wald in Holz weniger Arbeiter als Polizei. Kein halbes Dutzend Männer mit Schutzhelm sind zu sehen. Über kreuz und quer liegende Zweige und Stämme kann man steigen, zwangsläufig erfolgt dann Ansprache der folgende Art:
Wenn sie so freundlich wären, rauszugehen ...
Sprecher ist ein Polizeibeamter, der knapp auf ein gewisses Waldgesetz verweist. Dass das kaum einer kennt, nimmt er hin, für ihn galt das bis vorletzte Woche sicher ebenfalls. Die Einsatzleitung vor Ort wollte den Paragraphen, der momentan einer Erkundung der Lage im Wald entgegenstehe, nicht für diesen Radiobeitrag referieren. Sinngemäß wendet die Polizei hier Gefahren ab, welchen sich der Waldbesucher im Umfeld der Sägen aussetzt. Mehr oder weniger unwillig versammelt man sich jenseits des rot-weißen Absperrbands.
Geräusche des "Harvesters"
Auf fünfzig Meter Entfernung ist das Kreischen des Kreissägeblattes nicht mehr scharf, wenn der Greifarm einen Baum erfasst, ihn einen Augenblick später horizontal legt und den Stamm in zwei oder drei Stücke schneidet, wirkt die Forstvernichtung schon ein wenig wie im Land von Playmobil. Dennoch ...
Da ich Waggumer bin, betrifft mich das sehr. Ich muss sagen, mir läuft es kalt den Buckel runter, wenn ich einen Menschen sehe, der im Sekundentakt hier die Bäume umhackt, finde ich ganz schlimm.
Im Vorfeld der Abholzung verarztete die Lokalzeitung Tierfreunde mit einem Artikel über einen Biologentrupp, dessen Aufgabe es sei, Bäume mit Höhlen, in welchen womöglich Tiere überwintern, mit gelb-grüner Sprayfarbe zu markieren. Doch auf der gerodeten Fläche liegen jetzt solche Stämme nicht anders als unmarkierte umher. Die Polizisten bekommen zu Ohren, dass sie sich dienstlich vor Naturfrevel stellen.
... nachkartierte Bäume darauf aufmerksam gemacht, dass die jetzt gefällt worden sind. Ich habe den Polizeileiter aufgefordert, das zu unterbinden. [...] Der Einsatzleiter hat gesagt, «Sie können sich ja bei der unteren Naturschutzbehörde beschweren.» Es wäre aber seine Aufgabe, hier für Recht und Gesetz zu sorgen.
Auf Gesetze zum Schutz von Pflanzen und Tieren sollte sowieso nicht zu viel gegeben werden. Das offenbart schon die Behandlung, die dem Wald rechtlich widerfuhr. Eine tragikomische Spitze steuerte ein CDU-Politiker mit Posten in der Flughafengesellschaft bei. Vor Jahren forderte er, das Areal bei der EU als Vogelschutzgebiet anzumelden: Nicht der Vögel wegen, sondern um den Naturraum im Braunschweiger Norden als Ausnahme-Tatbestand in den Griff zu bekommen. Uta Ernst erklärt den administrativen Dreisprung.
Dieses Gebiet ist ein faktisches Vogelschutzgebiet. Das bedeutet, dass hier geschützte Vögel sind und in einem faktischen Vogelschutzgebiet darf man absolut nichts machen, auch nicht umgraben. Als man das festgestellt hat, hat man dieses Gebiet an die EU gemeldet, als Schutzgebiet, und darf dann eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Man darf dann, in dem Moment, wo man die Ausnahmegenehmigung erhält, bauen. Vorher hätte man es nicht dürfen. Wenn man es meldet, bekommt man die Ausnahmegenehmigung.
Da ist es nur eine Facette effizienter Verwaltung, wenn ein Gutachter, der auf dem Gelände ein biologisch wertvolles Objekt, etwa einen Waldteich, identifiziert hat, postwendend von der Stadt aufgefordert wird, einen Textbaustein zu liefern, der den adäquaten Ausnahmetatbestand deklamiert und so nicht den Amphibien im Wasser, sondern dem Genehmigungsbescheid das Überleben sichert. Den Glauben, dass Politiker, Behörden und Gerichte bei einem Projekt wie diesem Flughafen der Vernunft folgen, haben die meisten verloren, die in Augenschein nahmen, was da im Querumer Forst nördlich von Braunschweig vor sich geht.
Wir kennen Professoren, die den Landeanflug berechnet haben, die haben gesagt, auch größere Maschinen können hier landen und starten. Also ist es einfach Geldverschwendung, was hier gemacht wird und Naturzerstörung.
Sonntagsreden zu Energieeinsparung und Klimaschutz durch Wald verhallen. Nach wie vor ist Infrastruktur das goldene Kalb, um das man als Politiker tanzt. Seit dem 8. Januar offenbart sich das in einem ökologisch wertvollen und eigentlich als schutzwürdig klassifizierten Band von Wäldern zwischen Braunschweig und Wolfsburg. Beide Kommunen meinen, die Piste ihres Flughafens sei noch nicht lang genug.