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Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
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12.2009

HANS JÜRGEN VON DER WENSE: IMMER MIT DIR
Dokumentarische Aufführung des Theaters Zeitraum von Gilbert Holzgang

Anmoderation

"Flucht ist das Dasein der Weisen" schrieb Hans-Jürgen von der Wense. Seine Briefe und Tagebücher bildeten den reichen Fundus für die neueste Produktion des Theaters Zeitraum. Sie ist "Immer mit dir" übertitelt, hatte am Montag Premiere und für Pandoora war Markus Hiereth dabei.

Beitrag

Auf drei Stapel für drei Sprecher verteilte Gilbert Holzgang, Kopf von Theater Zeitraum, Kopien aus einem insgesamt 30000 Blätter zählenden schriftlichen Nachlass Hans-Jürgen von der Wenses. Bernhard Selker trägt Fragmente des Alten vor, der die Politik Adenauers kommentiert und den 1956 die Gewalt der Sowjets gegen eine aufkeimende ungarische Demokratie deprimiert. Andreas Döring liest, wie Wense als 40jähriger den Nationalsozialismus erlebt. Jürgen Beck-Rebholz leiht seine Stimme dem Jugendlichen:

15. Dezember: Ich habe dirigiert. Schulz musste mit der Bahn fort und bat mich, ihn zu vertreten. Ich nahm den Taktstock. Mir war zumute, als ob ich vor der Philharmonischen stand. Meine Begeisterung ging auf alle über. Es war unnennbar schön. Ich hätte alle umarmen können. Ich musste mich immer wieder verneigen. Mir war, als ob alle Menschen der Erde mich erkannten. Bei Pastors sprach keiner davon. Man wird alles tun, um diesen peinlichen Vorfall zu vergessen. Aber in mir lebt es, es lebt bis zu meinem Tode. Nicht, dass ich dirigierte. Aber dass ich ein einziges Mal in meinem Leben glücklich war.

Neben Musik reißt auch der Himmel den Abiturienten Hans Jürgen hin. Es sind ersten Jahre des Motorfluges, er pilgert zum Flugplatz Berlin-Joachimsthal, will Pilot werden, ist tief betroffen, als die Luftfahrt im Ersten Weltkrieg die Unschuld verliert, da die Flugzeuge nun Bomben abwerfen sollen. Zugleich erwartet er das Ende der Kaiserzeit und ist darauf eingestellt, dass sich das Volk bald nicht mehr fügen, sondern sich befreien will.

In Ansprachen klingen historische Umstände von Wenses Leben an. Darunter ist auch jener Klassiker der Wahrheitsumkehr, mit dem Adolf Hitler seinen Weltkrieg einläutete: "Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen". Zu den Tondokumenten kommen Projektionen von Wense selbst gemachter Fotografien sowie Musik. All das flankiert nicht nur das Wort, sondern vermittelt weitere Facetten dieser kaum bekannten Person, der in der Ankündigung des Theaters drei Berufe zugeordnet sind: Wissenschaftler, Dichter und, eben, Komponist.

Wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit und Sympathie für diesen Menschen verflossener Zeiten zu bündeln, dann verdankt das der Abend der Prägnanz und dem Witz in den Worten Wenses, für den Leben und Schreiben offensichtlich eins gewesen sind. Jedoch hat auch die spezielle Position, in welche die Inszenierung das Publikum bugsiert, Anteil daran: Der Zuschauer nimmt den Platz der Empfängerin seiner Briefe, der Braunschweigerin Heddy Esche ein. Auf sie ist der Titel "Immer mit dir" gemünzt, sie war Hans-Jürgen Wenses Freundin und Geliebte in ungewisser Art.

Doch wer ist dieser impulsive, unverblümte, seinen Charme versprühende Briefschreiber Hans-Jürgen von der Wense noch? Ein Phlegmatiker, der eher stolz als reuig bekennt "Handeln ekelt mich". Womöglich auch ein Feigling, dem das Vergessen-Werden recht geschieht, da er seine Papiere irgendwo stapelte und sich anscheinend immer wieder ein paar Jahre gab, statt mit seinen Manuskripten zu einem Verleger zu gehen. Von letzteren meint er abfällig, sie seien nur Fledderer der wahren Kunst, hätten statt ihrer den Massengeschmack, Auflagen und ihren Profit im Kopf. Vermutlich ließ Wense als ewiger Privatier auch einige Lügen gedeihen, die obgleich harmlos, schön auch nicht sind. Denn wenn er seiner Brieffreundin auseinandersetzt, in welchen schieren Mengen er in Bibliotheken alte Schriften des Nahen und Fernen Ostens sichtet, durchdringt und übersetzt, fragt man sich: "Kann ein Einzelner in einem Dutzend alter und neuer Sprachen so bewandert und selbstsicher sein?"

So begibt sich Gilbert Holzgang mit ihm auf riskantes Terrain. Alles, was Wense berichtet und reflektiert, will eingeordnet sein. Warum reiht sich im Jahr 1915 für ihn Musterung an Musterung? Gehörte etwa auch er jener jungen Generation an, die mit "Hurra" in den Ersten Weltkrieg zogen, weil sie meinten, Kampf und Schlachtfeld brächten etwas Großes aus Menschen und Völkern hervor? Alles nur knapp Hingeworfene irrt durch den Kopf des Zuschauers und so vernimmt dieser streckenweise zwar noch Worte, weiß aber, er hat den Faden verloren. Das Springen zwischen den Lebensaltern beziehungsweise Sprechern ist hingegen immer geglückt, elegant arbeitet Gilbert Holzgang mit diesem Mittel Entsprechungen und Bleibendes heraus.

Für mein Empfinden reichte die Menge ausgewählter Texte an eine Grenze heran, an der ein monologisierender Sprecher Unwille stimulieren kann. Davon abgesehen leuchtete Theater Zeitraum mit seinem Stück darstellerisch gekonnt aus, wo überall Hans-Jürgen von der Wense bemerkenswert und ein Original war.

Abmoderation

Weitere Aufführungen sind Sonntag der 13. sowie Dienstag der 15., Mittwoch der 16. und Donnerstag der 17. Dezember im Haus der Wissenschaft, Pockelsstraße 11 im 5. Stock. Bei Musikalien Bartels kosten die Karten 9 Euro, ermäßigt 6 Euro zuzüglich Vorverkaufsgebühr.