Um Viertel vor Neun in der Siegfriedstraße im Braunschweiger Nibelungenviertel: Wenig Autoverkehr, vereinzelt Passanten auf dem Gehweg, aber eine Traube von Schülern auf dem Rasen vor einem der Mietshäuser. Irgendetwas zu ihren Füßen beschäftigt sie; was erfahren Sie in einem Bericht von Markus Hiereth.
Marcel, Schüler der Astrid-Lindgren-Förderstufe kniet vor einer Stelle, an der zuvor ein Mitschüler mit dem Spaten ein rundes Stück Grassode weggenommen hat. Umringt von anderen Mädchen und Jungen drückt er mit dem Zeigefinger Löcher in die Erde und bemerkt, das er sich zu leicht ablenken lässt ...
Jetzt habe ich mich verzählt - Fang neu an. - Eins, zwei, drei, vier, fünf, ..., vierzehn. - Zehn bis fünfzehn Zwiebeln pro Loch.
Rochus Jonas ist es, der angibt, welcher Abstand zwischen den Wildkrokuszwiebeln bleiben soll. Er leitet gemeinsam mit den Lehrern die Pflanzaktion an, dank der sich im nächsten Frühjahr zwischen Hamburger Straße und Bienroder Weg ein blaues Band durch das Siegfriedviertel spannen soll. Im April schlug der Diplomingenieur für Biotechnologie dem Bezirksrat vor, was in diesen Tagen von Einwohnern, der Stadtverwaltung, Baugenossenschaften, örtlichen Vereinen und Schulen umgesetzt wird. Nachdem heute jeder Euro zweimal umgedreht wird, war er froh, dass die daumennagelgroßen Zwiebeln nicht teuer sind. Andererseits orderte man sie in stattlicher Anzahl. Die Stadt und die Baugenossenschaften im Nibelungenviertel beglichen die Rechnung. Auch sympathisierende Einwohner kaufen Wildkrokusse aus dem Kontingent und pflanzen sie auf eigenem Terrain.
Wir kriegen für 2000 Euro rund 110000 Krokusse. Viel höher ist der Zeitaufwand. Also ich mache im Prinzip neben meiner richtigen Arbeit nichts anderes mehr. Wenn ich abends nach Hause komme bis spät in die Nacht koordiniere ich. Das gleiche ist morgens vor der Arbeit, hänge ich am Telefon und spreche mit den Schulleitern, Lehrern, mit den Wohnungsbaugesellschaften um diese ganzen Termine zu koordinieren um Leute ins Boot zu holen und wie Sie sehen sind heute über siebzig Schüler auf dem Gelände. Das ist natürlich ein reges Treiben, das macht Spaß, aber man muss auch überall zur gleichen Zeit sein.
Sobald die Löcher bereit sind, die Krokusse aufzunehmen, steht an zu klären, wie herum man die Zwiebeln in die Erde stecken soll.
Jetzt gucken wir uns das gemeinsam nochmal an. Hier ist ein Ziegenbart und hier unten ist eine Wurzel dran. Da wo sich die Wurzel ausbilden soll, das muss nach unten. Wo der Ziegenbart ist, das strebt gegen das Licht, da bildet sich die Pflanze. Und das stecken wir so rein und drücken es leicht in die Erde, die wir leicht angelockert haben. Von der Tiefe her ist das ganz gut, das ist eine schöne Tiefe hier, so fünf Zentimeter, dass die alle auf einer Ebene sind.
Für die heiße Phase des Wildkrokusprojektes hat sich Rochus Jonas eine Woche Urlaub genommen. Den Jungen und Mädchen sagt die Sache schon deswegen zu, weil sie Abwechslung vom Schulalltag bringt.
Jeden morgen geht das los, so ab 8 Uhr 15 bis Mittag um 13 Uhr ist immer die Realschule Nibelungen den ganzen Vormittag da und dann stoßen die anderen Schulen stundenweise dazu. Es macht auch noch mit der Kindergarten Sankt Georg, die Kirchengemeinde Sankt Georg, wie auch die ganzen Kleingartenvereine, Wendentor im nördlichen Stadtbereich, die dann auch ihre Flächen bepflanzen.
Im Schwarzwald sei ihm die Schönheit der von wilden Krokussen belebten Wiesen ins Auge gefallen. Auch im urbanen Umfeld hat zwischen den kleinen Blühern Tristesse keinen Platz. Überdies setzt der Initiator des Wildkrokusprojektes darauf, dass sich mancher ein zweites Mal überlegt, ob er Verpackungen und ähnliches in den Rasen kickt, wenn auffällt, dass sich eine Gemeinschaft für etwas besseres engagiert.
Das ist auch so eine Idee: Ich möchte das Siegfriedviertel zum Aushängeschild machen, das soll das Wildkrokusviertel werden. Das soll ein soziales Netzwerk werden, wo die Leute sich identifizieren, über die Wildkrokusse ein Lebensgefühl entwickeln.
Vor diesem Frühlings-Gefühl steht das Anpacken jetzt. Die große Hingabe an Arbeit mit dem Spaten ist bei Dennis zwar noch nicht durchgebrochen ...
Ja schrecklich. Man macht sich dreckig. [Lacht]
aber er hat sich schon gemerkt, um was es geht und auf die Frage, wie er das Ziel finde, meint er.
Gut, eigentlich. Dass hier nächstes Jahr so eine Blumenpracht erscheint. Krokusse, so kurze, kleine.
Bevor Dennis am nächsten Pflanzfähnchen wieder das Blatt des Spatens flach in den Boden stößt, ist es an Marcel und seiner Mitschülerin, den Pflanzakt mit der kanaldeckelgroßen Grassode abzuschließen.
Warte, ich helfe Dir. - So, gerade. Noch ein bisschen Erde rauf. Jetzt wird es wieder festgemacht, dass es wieder zuwachsen kann.
Damit waren die Krokuszwiebeln also unter der Erde, wo sie in den verbleibenden Herbstwochen ihre Wurzeln ausbilden und Nährstoffe für die Blüte im Frühjahr sammeln.
Ausführliche Information zum Wildkrokusprojekt im Nibelungenviertel und Kontaktangaben gibt es im Internet unter www.wildkrokus.de.