An verschiedenen Stellen der Braunschweiger Innenstadt beschreiben Tafeln mit Zeichnungen und Texten das Aussehen und die Rolle der jeweiligen Örtlichkeit vor rund achthundert Jahren. Die Tafeln gehören zum Mittelalterweg. Gewissermaßen zum Brennpunkt der Darstellung dieser Epoche hat man die Jakobskemenate am Eiermarkt gemacht. Denn es handelt sich um einen authentischen Ort. Weitere Gründe, sich hier mit dem Architekturhistoriker über das mittelaterliche Braunschweig Elmar Arnhold zu unterhalten, kommen im folgenden Beitrag ans Licht.
Diese Ausstellung "Lebensräume" hat zum Thema die Stadt Braunschweig im Mittelalter, ihre Entwicklung, Hausbau, Wohnen. Im Erdgeschoss ist das Mittelalter, insbesondere ein Stadtmodell [...] Stadtmauern, Kirchen im damaligen Zustand; man sieht noch deutlich die Burg von Okerarmen umflossen. Man kann sich klar machen, wie die Stadt vor 750 Jahren aufgebaut war.
Auf dem rund 2 mal 2 Meter großen Modell fällt jedoch nicht zuerst besagte, noch recht isolierte Burg auf, sondern viele Häuser in Holz, en miniature, wie man es vom Monopoly kennt. Sie liegen verstreut, Feuchtgebiete und Okerarme halten sie von der Burg und untereinander auf Abstand, eingefasst wird das Gebilde von einer Stadtmauer mit Toren. Das Modell zeigt Braunschweig in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts; ein weiteres fertigt Matthias Wöhlke zum Zustand der Stadt nach 1200, in Kaiser Ottos Tagen. Es ist für die anstehende Otto-Ausstellung im Landesmuseum gedacht und thematisiert im Besonderen den damals ausgebauten Mauerring.
Das Modell fesselt den Blick, weil es augenblicklich vermittelt, wie viele Menschen bereits in der Stadt lebten und zudem andeutet, wo und wie gewohnt wurde. Aus Stein baute man Kirchen und Rathäuser. Zum Wohnen üblich waren Fachwerkbauten, bei welchen eben zu jener Zeit der Erkenntnis Rechnung getragen wurde, dass diese dauerhafter werden, wenn man, anstatt die Balken in den Boden zu rammen, das Holzgefüge auf Sockelsteinen ruhen lässt. An manchen Modell-Häusern fallen zweierlei Farben auf, ein kleinerer Teil des Baukörpers hat dunkleren Ton. Die Farbe deutet das Baumaterial an und verweist darauf, dass an dieser Stelle eine Art Zwitter aus Fachwerk- und steinernem Bau archäologisch nachgewiesen ist. Den einen hölzernen Teil haben die Jahrhunderte praktisch überall ausgelöscht, der steinerne blieb dagegen vereinzelt zurück. An der Hagenbrücke fällt ein solches Relikt auf und wird inzwischen bestens gepflegt. Wenn man erstmals hört, unter welcher Bezeichnung der Bau läuft, stutzt man. Elmar Arnhold erklärt, und stößt zum Ursprung der Begrifflichkeit vor.
Der Begriff der Kemenate ist bekannt als beheizbarer Gebäudeteil einer Burganlage. In Anführungsstrichen, dort, wo Frauen gelebt haben. Das hat seine Richtigkeit. Kemenate leitet sich von Kamin ab. In den norddeutschen Städten, von Westfalen, über Niedersachsen, Lübeck, bis nach Riga, sogar in Nowgorod in Russland gibt es archäologische Befunde für diese Kemenaten. Kemenaten werden eigentlich als Steinwerke bezeichnet, es sind Gebäude, die nicht allein standen sondern mit einem größeren Wohnhauskomplex gestanden haben ...
... der eben in Holzfachwerk errichtet worden war. Dass diese Bauweise sich mit offenem Feuer nicht verträgt, liegt auf der Hand.
Es ist für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt dass mindestens drei große Stadtbrände gewütet haben, die jeweils die Stadt weitenteils eingeäschert haben. [...] Sehr oft waren die Feuerstellen in den Fachwerkhäuser der Grund.
Abgesehen vom Wohnkomfort war eine Kemenate für Bauherren auch aus anderer Sicht eine Überlegung wert.
So ein Steinwerk war eben eine Versicherung für den Brandfall. Auch zu repräsentativen Zwecken [...] Es ist natürlich völlig klar, dass der Bauherr über die nötigen finanziellen Mittel verfügt haben muss.
Am Stadtmodell lässt sich somit die Deutung treffen, dass dort, wo die Kemenaten am dichtesten stehen, auch die Bessergestellten lebten, also rund um den Altstdtmarkt und eben im Weichbild Hagen. Vom Inneren einer Kemenate gibt, zumindest, was Größe und Gemäuer betrifft, die Jakobskemenate noch einen Eindruck. Außerdem wird es dort in einer Computeranimation vermittelt. Hier im Radio erörten wir die Fragen rund ums Wohnen verbal, und zwar in einem zweiten Beitragsteil, nach der Musik.
Wie lebten die Braunschweigerinnen und Braunschweig in der Regierungszeit des Welfenkaisers Otto? Den Stand der Forschung hat man zu einer Ausstellung in der Jakobskemenate aufbereitet und in einem zweiten Beitragsteil entwirft der Bauhistoriker Elmar Arnhold, wie sich die Bewohner in ihren Kemenaten einrichteten.
Das ist tatsächlich in der bauhistorischen Forschung hier und da noch umstritten, was mit diesen Steinwerken wirklich gemacht wurde, wie dort gelebt wurde, wofür sie genutzt wurden. Mit Sicherheit [diente] der Keller zu Lagerzwecken. Im Erdgeschoss Lagerraum für wertvollste Waren, so eine Art Kontor. Dass dort die Handelsgeschäfte stattgefunden haben. [...] Man muss sich vorstellen, dass die Wände bemalt waren. Man kann in der Jakobskemenate hier noch Ausmalungsreste sehen, bemalte Deckenbalken. Man konnte seine Gäste in diesen Teil der Behausung führen.
Heute fällt die Sonne über nicht historische Mauerdurchbrüche ins Erdgeschoss der Jakobskemenate. Ein wirklich mittelalterliches Fenster war hingegen lange zugemauert und wurde aus einem besonderen Grund jüngst wieder freigelegt.
Das ist die einzige Situation, wo in einer solchen Kemenate noch ein originales Fenster aus der Mitte des 13. Jahrhunderts erhalten geblieben ist. Das ist im Obergeschoss im Südgiebel. Man hat das im Zuge der letzten Restaurierung zum Teil wieder freigelegt. Dort kann man sehen, wie wunderschön das gearbeitet ist: romanisches Kapitell, mit Kleeblattbögen, man sieht sofort, das ist abgeleitet vom damaligen Kirchenbau. Das war schon was.
Versteckt wie dieses Fenster als Baudetail der Jakobskemenate hat sich auch die Mehrzahl der Braunschweiger Kemenaten in die Gegenwart gerettet. Elmar Arnhold zeigt im Stadtmodell über hundert Standorte an. Bei vierzig schriftlich erwähnten "Steinwerken" ist fraglich, wo sie waren. Nur Jakobskemenate und Kemenate an der Hagenbrücke sind heute noch prominent. Bei sieben weiteren muss man wissen, wo sie zu suchen sind. Hinweise zur Fahndung im Mittelalter enthält die Ausstellung, zudem legten sie das Stadtarchiv und Elmar Arnhold als Autor kompakt in Buchform vor.
Die Standorte, das sind hier 110 Bauten, die ich genau verorten konnte. Es gab aber noch mehr. Die Schätzungen gehen bis 150. Heute stehen noch neun. Das ist für viele etwas neues: Es sind immerhin noch neun, wo bauliche Reste greifbar, erhalten geblieben sind. Auch das wird in der Jakobskemenate gezeigt. Man kann sich das auf Bildschirm ertasten, wo sich diese Bauten befinden. Und ich habe dazu in der jüngsten Zeit ein kleines Büchlein verfasst, das ist erschienen in der Reihe der "Braunschweiger Werkstücke", Herausgeber ist das Stadtarchiv, wo das Thema der Kemenaten auf den neuesten Stand gebracht wird und wo diese neun Bauten, wo Reste erhalten geblieben sind, aufgezeigt werden.
Die Öffnungszeiten der Jakobskemenate sind montags bis samstags von 10 bis 18 Uhr, sonntags von 12 bis 18 Uhr. Bibliografische Angaben:
Elmar Arnhold,
Die Braunschweiger Kemenate
- Steinwerke des 13. und 14. Jahrhunderts in Braunschweig,
Braunschweig 2009, 104 Seiten, 90 Abbildungen.
Band 111 der Reihe Braunschweiger Werkstücke
ISBN 978-3-926701-76-3, Preis 12,80 Euro.