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Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
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kultur/0905be2
05.2009

BEZIEHUNGEN
Dreiteiliger Choreografenabend am Staatstheater Braunschweig

Anmoderation

"Beziehungen" überschreibt die Sparte Tanz am Staatstheater einen dreiteiligen Choreografenabend, der am vergangenen Donnerstag Premiere hatte. Für Pandoora nahm Markus Hiereth diesen ungewöhnlichen "Tanz in den Mai" in den Blick.

Beitrag

Le jour de l'ouverture

Sieben silberne Stelen, drei Tänzer, ein Raum. Marc Cloot späht auf Daniela Indrizzi. Diese erweist sich jedoch als verbandelt mit Jiri Kobylka. Der wiederum hat eine feste Vorstellung von Beziehung; eine Vorstellung, bei der sie das Prickeln vermisst. Also schaut sie, was sich aus dem offensichtlichen Interesse des zweiten Mannes machen lässt und eröffnet ein Spiel, das äußerlich wie ein unschuldiges Verstecken und Fangen daherkommt, unter dem die Katz und Maus - Konstellation, Macht und situationsabhängige Überlegenheit schon zu fassen ist.

Das Thema "Menschen im Dreieck" reizt also immer wieder das Darstellen. Krisztina Pasztory hat in ihrem Stück "Le jour de l'ouverture" die entsprechenden, von zart und stark reichenden Körperkontakte formuliert. Das Stück lohnt das Sehen, weil es den Akteuren, allen voran dieser verdammt schönen Daniela Indrizzi gelingt, die Widersprüche im Menschen spüren zu lassen. Überdies überzeugen alle drei Tänzer durch die Qualität der Bewegungen und deren Einklang in den Duos und einer Passage zu Dreien.

Entrelacs

Mauro de Candia nahm für seine Choreografie "Entrelacs" einen entfernten Standort ein. Zwar zeigt auch er Begegnungen, doch bildet er mit permanent auf- und abtretendem Personal eine vielköpfige und äußerst eigentümliche Gesellschaft ab. Er gibt sich als Freund der Umkehrung und frappiert gleich zu Beginn durch die Lichtführung und die Bewegung, in deren Folge der Zuschauer unvermittelt die Tänzergruppe vor Augen hat. Die Bühnenfläche beobachten wir dann für rund zwanzig Minuten wie eine italienische Piazza - ohne Sonne. Stattdessen hebt hartes Gegenlicht die Konturen der Tanzenden hervor; sie treten aus den düsteren Zonen hinten und an den Seiten und werden ebenso wieder von ihnen verschluckt.

Eigenwille und Lust an der Verkehrung spricht auch aus dem, was de Candia dem Theaterpublikum in die Ohren gibt. Er bettet sein Stück in Aufzeichnungen von Meredith Monks laut- und klangschöpferischen Akten. Das Ende beschwört die Sängerin zuallererst und unternimmt dabei Spaziergänge auf der Klaviatur ihres Pianos. Im weiteren wird das Wort "Death" / "Tod" gehechelt und gepresst. Soweit sich das Vokabular eignet, jodelt und jault sie es und läuft in männlicher Begleitung "in der Zielgerade" der Produktion zu opernhafter Üppigkeit auf. Warum denn nicht? Nach dem zweiten Erleben des Stückes empfand ich Meredith Monks Beitrag als passend zum Tanz, zudem war er drängendes Thema unter Zuschauern in der Pause.

Die disparaten Klänge passen zu dem, was Mauro de Candia über "Beziehungen" erzählt: Er betrachtet sie offenbar als Sonderfall, in seinem Ensemble wird sich so häufig getrennt als man darin zueinander findet, mit geradezu autistischer Ruhe präsentiert es sich zu Beginn und auch am Ende. Er entwirft eine Gesellschaft, in welcher praktisch jeder irgendeine Abnormität austrägt und streut Begegnungen unter sie: Manche wirken wie Konstellationen, etwa, wenn eine Gruppe von vier Tänzern mit Pavel Stoiko ausgerechnet den allergrössten unter ihnen zum Abtransport auserkoren hat, ihn kippelig über den Köpfen hält, wobei dem großen Tänzer, wie einem auf dem Rücken gefallen Käfer, gar nicht wohl sein kann.

Mehr als nur Konstellation, sondern eine Episode steckt in einer Begegnung zwischen Jana Ritzen und Ferdinand Holewa. Sie schiebt sich fragezeichenkrumm von der Seite auf die Bühne, mit hinter den Kniekehlen verklammerten Händen. Er fasst dieses menschliche Bündel, führt ihre dünne Glieder. Die Spasmen lösen sich aus ihrem Körper, am Ende bahnt er ihr behutsam den Weg zurück.

Aber nicht alle Begegnungen verdienen es, von der choreografischen Werkstatt ins Theater mitgenommen worden zu sein. So klemmt José Caba zwischen sich und Aya Sone einem Dreimeter-Stab. Immer wieder fällt er zu Boden und das Paar probiert, das Ding auf andere Art und Weise zwischen sich zu plazieren. Mit solchen Einlagen tut der Schöpfer des Stückes weder sich noch seinen Tänzern einen Gefallen. Denn wie berührend es sein kann, wenn sich José Caba mit Aya Sone befasst und umgekehrt, hatte das Publikum schon vorher erlebt: Als sie mit Händen und Kopf zu Boden gerichtet an seiner Seite ist und er sich ihren Fuß an sein Gesicht führt. Dann richtet sie sich auf, legt die flache Hand auf seine Stirn und, wie unter Trance, senkt er seinen Körper rückwärts, wird unmerklich von ihr gestützt und erreicht mit den Schultern die Höhe ihrer Fußknöchel.

Absent

Auch im dritten Teil des Abends, bei Alessandro Pereiras Choreografie "Absent", kann sich das Publikum an einer Fülle von Bewegungsformen und -korrespondenzen weiden. Zwischen einem Bild von Einsamkeit als Auftakt und einem Ende, das man leider nur als "Abblasen" gelten lassen kann, entfesselt Pereira als Schöpfer der Bewegung zusammen mit Alexander Balanescus Musik Energien; seine Bewegungsfolgen sind äußerst anspruchsvoll: Ein Viererreigen von Tänzerinnen wechselt zwischen hastigem Schreiten und setzt diesen Kurs im nächsten Moment rollend fort. Die komplette Besetzung des Stückes wischt vorwärts über die Fläche, knickt seitlich nach hinten auf ein Knie, hat flüchtigen Bodenkontakt mit dem Körper und schraubt sich hoch in den nächsten Sprung. Hier, wo zehn Arme denselben Bogen beschreiben sollten und Hände in derselben geknickten Art und Weise über verstreuten Körpern schweben müssten, fehlte mir die konsequente Gleichförmigkeit, der Einklang aller beim Ein- und Ausleiten der Bewegungen.

Erwähnung verdient, wie Alessandro Pereira in einem Bild auf skeptische und recht subtile Art das Thema "Beziehung" streift. Die Bewegungen eines Paares lässt er zugleich zwei Einzelne ausführen: Jaroslav Cernuska erhält rechts in Pavel Stoiko, und Jana Ritzen links in José Caba einen isoliert agierenden Doppelgänger. So nährt dieses Quartett Zweifel, ob Zweierbeziehungen jemals sind, was sie versprechen zu sein.

Alles in allem ist "Beziehungen" ein empfehlenswerter Abend für Tanzinteressierte. In den Choreografien steckt frischer Wind und aufgrund der unterschiedlichen Handschrift der Künstler ergänzen sich die Stücke auch gut.

Abmoderation

Markus Hiereth besprach den Tanzabend "Beziehungen" des Staatstheaters Braunschweig. Im Monat Mai gibt es noch zwei Aufführungen, und zwar am Samstag den 9. und Freitag den 15. jeweils im Kleinen Haus.