Ernst von Haeckel

Kunstwerke und Kunstformen

Ernst von Haeckel studierte die Natur mit dem Wunsch, die ihr innewohnenden Zusammenhänge richtig zu erfassen. Dessenungeachtet hielt er die von ihm empfundene Begeisterung über die äußeren Formen des Lebens nicht zurück und bezeichnete etwa die skelettierten Funde von Kleinstlebewesen, der "Strahlentierchen" oder "Radiolarien", welche er im Meer vor Messina sowie während seiner Forschungsreise auf der H.M.S. Challenger zusammentrug, als "märchenhafte" Schätze. Kunst ist ihm, was die Sinne anspricht; er erlebt sie in Werken des Menschen und in der Natur:

Schaumstrahling
Zeichnung von Ernst Haeckel in [1]

Den Unterschied von "Kunstwerken des Menschen" und "Kunstformen der Natur" sieht er darin, dass "die ersteren mit mehr oder weniger klarem Bewußtsein, zielstrebig von Gehirn und Menschenhand", die letzteren "unbewußt, ohne vorgefasste innere Absicht" erschaffen werden. Die Frage, mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck selbst einzellige Lebenwesen wie die Radiolarien höchst ästhetische Strukturen zustande bringen, führt ihn zur Annahme eines "Kunsttriebes" oder "plastischen Zellinstinktes", der auf "derselben Stufe der Seelentätigkeit wie die bekannten Instinkte der höheren vielzelligen Tiere und Pflanzen stehe." Gleich diesen Instinkten hält Haeckel1 diesen Kunsttrieb für eine erbliche, von Generation zu Generation weitergegebene Anpassungsleistung.

Ernst von Haeckel und Darwins Theorie von der Entstehung der Arten

Der Verleger Wilhelm Breitenbach erinnert in seiner Kurzbiografie2 an Haeckels bedingungsloses Engagement zur Verbreitung der Evolutionstheorie. Charles Darwins Werk "Über die Entstehung der Arten" war 1862, während Ernst von Haeckels Aufenthalt in Italien, erschienen. Haeckel lernte das Buch nach seiner Rückkehr in Berlin gleich kennen.

Es packte ihn gewaltig und schon in seinem Radiolarienwerk bekannte er sich als Anhänger der neuen Entwicklungstheorie. Im September 1863 hielt er auf der Naturforscherversammlung in Stettin den ersten öffentlichen Vortrag über die Entwicklungstheorie und seit dieser Zeit war er in Deutschland der unbestrittene Führer der neuen Bewegung und mit Recht nannte man ihn später den "deutschen Darwin." [...]
Der wichtigste Folgeschluß aus der Abstammungslehre ist der, dass auch der Mensch sich aus niederen Tierformen, zunächst aus affenähnlichen Vorfahren, entwickelt haben muß. Haeckel hat von Anfang an [...] die Richtigkeit dieses Schlusses anerkannt und er war bald der Führer in dieser berüchtigten "Affenfrage". Nach kleineren Vorarbeiten ließ er 1873 seine "Anthropogenie" erscheinen, das Werk, in dem zum erstenmal die ganze Entwicklungsgeschichte des Menschen dargestellt [...] wurde. Diese gewaltige Arbeit war erst möglich geworden durch Aufstellung des biogenetischen Grundgesetzes [...] 2

Das Biogenetische Grundgesetz

Ernst von Haeckel hat seinen Zuhörern dieses Gesetz zum Beispiel in einem Vortrag "Über die Arbeitstheilung in Natur- und Menschenleben" vor dem Berliner Handwerker-Verein nahegebracht. Die diesbezügliche Passage3 des Vortrages hier in gekürzter Form:

Denn die Entwicklung eines Organismus, das heißt, die Reihe von Formen, welche derselbe vom Ei bis zur vollendeten Gestalt durchläuft, wiederholt in kürzester Zeit und in groben und allgemeinen Umrissen seine Stammesgeschichte, das heißt mit anderen Worten, die Reihe von Formen, welche die Vorfahren dieses Organismus seit Anbeginn der organischen Schöpfung durchlaufen haben.

Der Biologe Konrad Bachmann4 findet diesen Begriff des biogenetischen Gesetzen "pompös" und meint, dass es in der Entwicklung eine mehrzelligen Organismus schlicht einfacher sei, eine gebildete Struktur nachträglich abzubauen als einen Teil eines von mehreren Faktoren bewerkstelligten Prozesses gezielt zu überspringen. Doch die von Bachmann erwähnte Bildung von Kiemenspalten und -bögen während der Embryonalentwicklung des Menschen illustriert eher die grundsätzliche Richtigkeit der Vorstellung Haeckels als eine Schwachstelle darin.

Haeckels "monistische" Weltauffassung

Staatsqualle
Zeichnung von Ernst Haeckel in [1]

Nicht selten wurde und wird Evolutionstheorie mit "dem Kampf ums Dasein" oder einem Recht des Stärkeren assoziiert. Doch für Ernst von Haeckel kennzeichnen Arbeitsteilung und Anpassung die erfolgreichen, hochstehenden Arten und Gesellschaften. Als bekanntes Beispiel führt er staatenbildende Insekten an. So entwickelt sich der Nachwuchs der Bienen sicher und unter guten Bedingungen, weil sich die Leistungen spezialisierter Individuen – hier Ammen-, Bau-, Wächter- und Sammelbienen5 – zusammenfügen: Die Brut profitiert vom kontrollierten Klima im Stock, der zuverlässigen Versorgung mit Nahrung und dem Schutz vor Räubern. Ebenfalls kein Einzeltier, sondern eine ganze Kolonie von Individuen stellt die Staatsqualle dar. Haeckel war von dieser Meeresbewohnerin fasziniert und hat sie oft gezeichnet. Welche Aufgaben von welcher Gruppe von Individuen erfüllt werden, stellte Haeckel ausführlich in dem oben genannten Vortrag dar.

Dass ein Ganzes mehr als die Summe der Teile darstellt, wird ihm zur Weltanschauung. In der "monistischen" Bewegung6 des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war Haeckel eine führende Figur. In einer Fußnote von "Die Natur als Künstlerin" stellt er den Monisimus den etablierteren religiös-weltanschaulichen Haltungen gegenüber7.

Der "Dualismus" zerlegt das Universum in zwei ganz verschiedene Substanzen, die materielle Welt und den immateriellen Gott, der ihr als Schöpfer, Erhalter und Regierer gegenübersteht. Der "Monismus" hingegen erkennt im Universum nur eine einzige Substanz, die "Gott und Natur" zugleich ist, Körper und Geist (oder Materie und Energie) sind für sie untrennbar verbunden. Der "Anthropismus" wieder ist "jener mächtige und weitverbreitete Komplex von irrtümlichen Vorstellungen, welcher den menschlichen Organismus im Gegensatz zu der übrigen Natur stellt."

Im Internet hat Angelika Weiß-Merklein eine ausführliche Darstellung8 von Leben und Werk Haeckels hinterlegt. Die zitierten Textpassagen und die Illustrationen sind Buchexemplaren der Universitätsbibliothek Braunschweig entnommen.


Anmerkungen

  1. vgl. Haeckels Aufsatz "Die Natur als Künstlerin" in [1] auf S.12
  2. aus Wilhelm Breitenbachs Kurzbiografie in [1], S.116
  3. Manuskript zum Vortrag am 17.12.1868 in [2], S.24f
  4. in [3], "Biologie für Mediziner", S. 431
  5. vgl. http://digitale-folien.de/biologie/tiere/insekt/biene/entw.html
  6. vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Monistenbund
  7. vgl. Haeckel in [1] S.15
  8. www.bnv-bamberg.de/home/ba2282/main/faecher/biologie/haeckel.htm (leider nicht mehr online verfügbar)

Quellen

[1] Ernst Haeckel, Die Natur als Künstlerin, Vita-Verlag Heinrich Finck, Berlin, 1929
[2] Ernst Haeckel, Über Arbeitstheilung in Natur- und Menschenleben, Berlin, 1869
[3] Konrad Bachmann, Biologie für Mediziner, Springer-Verlag, Berlin, 3. Auflage 1986
Markus Hiereth, Markus Hiereth,  13.02.2009
www.hiereth.de