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Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
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kultur/0801sl3
24.01.2008

Ausstellung im Cuboid des Kunstvereins Braunschweig
SHOEASHORE LEGASEA von Thomas Ganzenmüller

Anmoderation

Spazierengehen am Meer: Wenn es zwei tun, denkt man an Liebe, die beide verbindet. Wenn einer alleine durch den Sand stapft, nehmen wir an, die Kilometer und Stunden könnten geistiger Einkehr und Sammlung dienen. Vermutlich ein solches Bild gab Thomas Ganzenmüller an der Atlantikküste ab.

Mit einer Ausstellung bringt der Kunstverein Braunschweig zur Zeit die Ergebnisse an die Öffentlichkeit. Als Kunststipendiat arbeitete Ganzenmüller für ein Jahr in New York. Die Wolkenkratzer der Metropole im Rücken, wendete er sich dem Meer zu und war hinsichtlich des Strandes nicht wählerisch ...

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Beitrag

... und ich dann mal zum Strand 'rausgefahren bin und überhaupt geschaut habe, "Wie sieht es denn da draußen aus?" In Far Rockaway war ich da zum ersten Mal, das war alles ein bisschen beängstigend. Es war so ein Brachland, durch das man laufen musste. Wobei ich am ersten Tag zehn Schuhe hatte.

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Schuhe, deren Fund bei dem Strandläufer Thomas Ganzenmüller ungewöhnliches Verhalten auslöst. Denn in den 1990er Jahren las er einen Artikel, wonach Meeresbiologen sich fragten, ob linke und rechte Muschelhälften eventuell in ungleicher Verteilung am Strand lägen. Mit Suchen und Zählen wollten sie sich einer Antwort nähern und Thomas Ganzenmüller übernahm diesen Ansatz. Entsprechend lief er Kilometer um Kilometer amerikanischer Atlantikküste ab. Linke und rechte Schuhe, die ihn bald in reicherer Zahl erwarteten, wurden mit dem Fotoapparat verewigt und zum kleinsten Element in einer Statistik, in der die Zahlen mittlerweile vierstellig sind. Am zweiten Tag schlug Thomas Ganzenmüller am Strand die andere Richtung ein. Die Sonne ließ sich blicken und aus dem Tagwerk war Befriedigung zu ziehen.

da war das schon ok. Beim dritten Mal bin ich nach Staten Island gefahren und da war klar, dass das ein ideales Gebiet ist, weil man irgendwie merkt, die Datenlage draußen ist so schön: Man hat zum Beispiel auf den zwanzig Kilometern 600 Schuhe und merkt dann, eigentlich möchte man ganz New Jersey ablaufen, bis Montauk in Long Island und macht das dann auch, fährt raus und zählt und zählt und das hat eine ganz merkwürdige, ganz dämliche Spannung über die Zeit. Am Schluss löst sich das auf, wenn man die Schlussberechnung macht, weil man ein ganz ähnliches Muster wie auf den Shetlands erhält.

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"Muster" ist ein zentraler Begriff in Thomas Ganzenmüllers Schaffen. Mutmaßliche Beziehungen zwischen Geburt und Tod, zwischen dem Datum von Ostern und den Terminen der Fußballspiele der Tottenham Hotspots verwendet er reduziert auf eine Zahl, eben den Tag im Jahreskalender. Sodann betreibt er Statistik und sucht Häufungen. Am Ende steht die grafische Aufbereitung der Daten und der Betrachter stutzt; sinniert über Bedeutung und Herkunft jener Muster, mit welchen ihn Thomas Ganzenmüller konfrontiert.

So appliziert er an Wänden und Schranktüren im Braunschweiger Kunstverein runde Diagramme. Die zugehörige Legende weist auf die Shetland-Inseln, Texel oder New York als Datenquelle hin. Jeder der Kreise ist wie die Scheibe eines Kompasses geteilt, die Sektoren stehen für die Himmelsrichtung, in der ein Strand verläuft. Grün zeigt eine Häufung linker Schuhe, gelb eine Häufung rechter an. Es ergibt sich ein Bild mit Ähnlichkeit zu den Uhren, die Schiffsfunkern jene Minuten in der Stunde anzeigten, in welchen Funkfrequenzen für Seenotrufe reserviert waren. Auf diese Formengleichheit von Uhren und seinen Diagrammen stieß Thomas Ganzenmüller erst spät und versteht sie als letzte Abrundung seiner Ausstellung "Shoeashore Legasea" im Kunstverein Braunschweig. Es handelt sich dabei bloß um eine kleine Entdeckung in der Welt als System, in dem der Mensch von jeher nach Zusammenhängen fahndete. Wie etwa ein Mathematiker am Prager Hof gut 400 Jahren.

Wie meinetwegen - und da wird es vielleicht ein bisschen verstiegen - Johannes Kepler Astronomie betrieben hat im 16. Jahrhundert. Der dann Harmonien entdeckt hat in den Umlaufbahnen die dann wieder in der Musik auftauchen. So ist das eine Erklärung von Welt und so ist es eine Forschung, die man in ganz kleinem Maßstab betreibt. Es ist auch sowas wie "pure pleasure" an dem, was man da tut.

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Dass man Thomas Ganzenmüller solche "reinen Vergnügungen" gerne zubilligt, rührt nicht zuletzt von den sinnlichen Eindrücken her, die er mit seiner Ausstellung im Kunstverein bereithält. Dort stapelt er Fach an Fach in drei Schränken Schuhwerk in allen erdenklichen Zuständen von Bewuchs und Zerfall. Eine Reihe Seemannsstiefel belegt den Schrank oben. Ihr Gummi ist wohl hart wie Knochen und ihre Oberfläche ist wie ein altes Ölgemälde von "Krakele" überzogen. Farblich konkurrieren sich noch, da leuchtet ein Stiefel dottergelb, ein anderer ist ins Braunoliv mit gelben Einsprengseln abgesackt. Im Schrankinnere enthält Badelatschen, Turnschuhe und auch eine Art plumpe Wanne für den weiblichen Fuß. Zu diesen Pantinen gibt es, wie zu allem sonst, einen Code. Er steht für den Fundplatz, an dem besagter Schuh womöglich seit Churchills Regierungszeit wartete, um nun Eingang in Ganzenmüllers Statistik und eine Präsentation im fernen Braunschweig zu finden.

Die Tage, die sie auf fröhlich gemustertem kornblumenblauem Stoff als Objekt zeitgenössischer Kunst betrachtet werden, sind allerdings gezählt. Denn Thomas Ganzenmüllers Erläuterungen zur Herkunft der Schränke zeigen an, dass Kunst nichts besonderes zu sein braucht. In diesem Bereich folgt er gewissen Ansprüchen und vermittelt nebenher, dass Kunst als Teil des Lebens gesehen werden darf.

Das sind also meine drei Schränke die ich zuhause hab. Ich freue mich sehr auf den 4. Februar, wenn ich den wieder zu Hause stehen habe und meine Bücher wieder einsortieren kann. Das sind dann alles auch, ja, ästhetische Probleme. Da versucht man Sachen, die man sich auch im Vorfeld schon überlegt hat, streicht die Türen weiß an. Die Schränke haben natürlich alle ihre Provenienz. Der eine ist ein alter Kirchenregistraturschrank aus Dinkelsbühl, wo ich zur Schule gegangen bin. Der Aussteuerschrank meiner Großeltern ist dabei, wo die ihre Leinenballen hatten. Ich denke, da sieht man, es ging alles sehr bescheiden zu.

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Das ist billigstes Kiefernholz, so wie Mahagoni oder was auch immer bemalt.

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Abmoderation

Leider ohne Antwort auf die Frage nach besten Stellen zum Suchen linker beziehungsweise rechter Schuhe lässt Sie dieser Beitrag von Markus Hiereth. Verlässliche Daten hält Thomas Ganzenmüller im Kunstverein Braunschweig bereit. Seine Ausstellung "Shoeashore Legasea" läuft dort bis Sonntag den 3. Februar und ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.

Zur Abrundung der Thematik ist uns ein Titel von Bonnie Prince Billy und Matt Sweeny nahegelegt worden. Schneeweiße Kreuzfahrtschiffe brachten in den letzten zehn Jahren fünfzig Personen weniger zurück an Land als sie in die blaue Ferne mitgenommen haben. Die Passagiere sind spurlos verschwunden, aber der Gedanke, dass ihre Schuhe schon wieder da sind, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Von morbiden Akkorden Matt Sweenys unterlegt bringt Bonnie Prince Billy den Sachverhalt als Liedautor und Sänger auf den Punkt: "Death in the sea"