Anmoderation
Auf dem Titelbild des Sonderdrucks der Zeitschrift für Angewandte Chemie symbolisieren drei Pfeilchen Verschiebungsmöglichkeiten für Ladungswolken an ein Molekül. Diese Pfeile, so heißt es im Text darunter, symbolisierten ein "Geben und Nehmen" zwischen den Atomen einer neuen Klasse von Verbindungen1. Zur Forschung und zur Technik weist dieses "Geben und Nehmen" im atomaren Maßstab derart interessante Querbeziehungen auf, dass die Technische Universität die Medien auf den zugehörigen Fachartikel in einer Pressemitteilung hingewiesen hat.
Für nanometer hat Markus Hiereth den Faden aufgenommen. Bei Professor Matthias Tamm, dem Geschäftsführer des Instituts für Anorganische und analytische Chemie erfuhr er nicht nur, warum von einem wesentlichen Fortschritt gesprochen werden darf, sondern auch etwas über Geben und Nehmen im Wissenschaftsbetrieb und die Triebfeder, aus der Chemiker wie er ihre Kräfte schöpfen.
Beitrag
Dass wir in der Lage sind, eigentlich ähnlich wie ein Feinmechaniker zu arbeiten. Aber auf einem Niveau, wo wir - wenn Sie so wollen - Moleküle zusammenschrauben. Wir wollen ja komplexe Strukturen aufbauen, bei denen wir verschiedenste Atome in eine ganz bestimmte Geometrie zueinander bringen müssen und wir als Chemiker beherrschen die Methoden, so etwas aufzubauen...
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Näher kommen Chemiker diesem Ziel heute durch enge Zusammenarbeit zwischen den diversen Fachrichtungen. Es sind in diesem Fall die durch Mattias Tamm und Stefan Beer vertretene Anorganische Chemie, welche einst mit Metallen, mineralischen Rohstoffen und Energieträgern groß geworden ist. Des weiteren die organische Chemie, die unserer Zeit mit Kunst- und Naturstoffen, mit Farb- oder Wirkstoffen ihren Stempel aufdrückt. Zuletzt hinzu kam dank immer leistungsfähigerer Computer die theoretische Chemie, die die Welt der Atome zwar nur modelliert, nichtsdestotrotz aber wertvolle Vorhersagen hinsichtlich Reaktionswahrscheinlich-keiten oder Moleküleigenschaften liefert.
Lohnend ist eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Beer und Tamm auch, weil er in enger Beziehung zu Arbeiten steht, die in letzten Jahren mit Nobelpreisen ausgezeichnet wurden. So wurde der Preis von 2007 für die theoretische Bearbeitung der schon hundert Jahre lang in der Praxis betriebenen Gewinnung von Ammoniak aus den Elementen verliehen; eine Synthese, die ohne Katalysator undurchführbar wäre. Zwei Jahre zuvor wiederum gab es den Chemie-Nobelpreis für das Verdienst, mittels eines Katalysators Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen quasi in einem Zug zu spalten und neu zu vermitteln; eine Umgruppierung, die in der Organischen Chemie als Metathese bezeichnet wird. Als Ziel für sich und seine Mitarbeiter steckte Matthias Tamm nun ab, einen Katalysator zu entwickeln, mit dem der gleiche Vorgang an den noch festeren Dreifachbindungen zu bewerkstelligen wäre. Auf Überlegungen, welche Gestalt so ein Katalysator-Molekül aufweisen müsste, folgte das Problem, einen Weg zu dessen Synthese zu planen und diesen im Labor versuchsweise zu beschreiten. Es war schließlich der Durchbruch auf diesem Feld, der im erwähnten Fachartikel vorgestellt wurde.
Wir haben einen neuen Katalysator, der in der Lage ist, Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindungen bei Raumtemperatur zu spalten. Damit haben wir einen Katalysator entwickelt, der im Bereich Alkinmetathese eingesetzt werden kann. Man muss sich vorstellen, dass Kohlenstoffatome Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen zueinander eingehen können und diese Bindungen zu spalten erfordert sehr viel Energie.
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Und dieser Katalysator schafft es zum ersten Mal, Dreifachbindungen bei Raumtemperatur zu knacken und auch neu zu bilden, so dass wir das als Synthesewerkzeug in der organischen Chemie beispielsweise einsetzen können.
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Wobei die Bedeutung katalytischer Verbindungen weiter reicht, als skizzenhafte Erklärung vermuten lässt. Ein Vergleich mit Puddingpulver, welches es mit und ohne Kochen zu Kaufen gibt, wäre zu platt. Sicher spart die Industrie durch einen "kalten" Prozess Energie und Zeit. Doch das Wesentliche ist, dass Katalysatoren in vielen Fällen die einzige Chance darstellen, gewisse Produkte in die Hände zu bekommen. Denn wenn es um die Herstellung komplizierter Verbindungen geht, ist der Chemiker in einer Zwickmühle: Die Hitze, die notwendig ist, um an einer Stelle eine Reaktion einzuleiten, kann anderswo am Molekül unerwünschte Veränderungen, ja dessen Zerfall nach sich ziehen. Heikel ist insofern besonders die Herstellung komplizierter Verbindungen - teure pharmazeutische Wirkstoffe und viele Naturstoffe gehören dazu. Hier bahnt der Metathese-Katalysator der Braunschweiger Chemiker neue, elegante Synthesewege.
Naturstoffe sind sehr häufig makrozyklische Verbindungen, die sehr große Ringe haben. Diese Alkinmetathese kann gerade dort eingesetzt werden, um diese großen Ringe zu bilden. Man hat in so einem Molekül an jeweils einem Ende eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindung und wenn wir uns verstellen, dass wir diese Dreifachbindung mit unserem Katalysator in der Mitte durchschneiden, und dann innerhalb des Moleküls wieder zusammenknüpfen, dass wir dann solche großen Ringe auf effektive Weise geknüpft haben und dann im Übrigen die Dreifachbindung, die zustande kommt, weiter funktionalisieren können.
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Mit "wir" meint der Anorganiker Matthias Tamm die Kollegen vom TU Institut für organischen Chemie, die den neuen Katalysator zur Synthese eines Duftstoffs von Schmetterlingen nutzten. Zwar muten derlei Anwendungen wie chemische Akrobatik an, jedoch gibt es in der Vergangenheit reichlich Beispiele, wo Wissenschaftler inmitten schwer nachvollziehbarer, zäher Bemühungen ums Allerkleinste plötzlich die Pforte zu einer neuen Technologie auftun. Die aktuellen Pläne von Matthias Tamm zeigen allerdings an, dass man am TU-Institut für Anorganische Chemie weiterhin auf Bodenhaftung Wert legt. Jörg Grunenberg und Kai Brandhorst, zwei Experten für die Simulation molekularer Prozesse am Computer, bat man um Daten zur Frage, wie der gefundene Katalysator weiter zu verbessern sei.
Wir können mit der Dichtefunktionaltheorie ansetzen, wie wir Aktivierungsenergie herunterbekommen. ... Entlang dieser Rechnung läuft die weitere Optimierung dieses Katalysators. Wir haben jetzt schon wieder ein System im Ziel, das nochmal um den Faktor schneller sein sollte als das System, was zuvor in der Literatur vor allem eingesetzt wurde - so dass wir das Ende der Fahnenstange wohl noch lange nicht erreicht haben. Dann muss man auch sagen, wird nicht für jedes Problem der eine Katalysator optimal sein. Da wird sich mal der eine oder andere Katalysator bewähren, denn die Dreifachbindungen sind unterschiedlich substituiert, das heißt, die Geometrie darum herum sieht jedesmal anders aus. Das ist natürlich ein riesiges Forschungsfeld, was in den nächsten Jahren vor uns liegt.
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Dabei bewegt sich auf besagtem Forschungsgebiet nichts ohne Mittel für die Arbeit und das Personal; Gelder, von welchen Diplomanden und Doktoranden ebenso leben können müssen wie die festen Universitätsmitarbeiter als die Impulsgeber und Träger von Erfahrung. Matthias Tamm ist kein Wissenschaftler in einem Turm von Elfenbein.
Das Problem ist, das muss alles gelernt werden. Man muss also qualifizierte Mitarbeiter haben, die an Erfahrung gewinnen, die irgendwann den Durchbruch schaffen, den richtigen Weg finden und in der Lage sind, größere Mengen davon auf den Tisch zu legen. Im Übrigen wollen wir das mit einer Firma hier am Institut, Innochemtec zusammen produzieren. Wir haben den Katalysator und ähnliche Systeme zum Patent angemeldet um ihn mit Chemikalienversandhäusern zu vertreiben. Damit Leute, die so eine Reaktion, die Spaltung und Knüpfung von CC-Dreifachbindungen das nicht selber herstellen müssen, sondern es kommerziell beziehen können. Hoffentlich von uns, so dass wir Geld in die TU Braunschweig fließen lassen können, auch für die weiteres Forschung.
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Abmoderation
Markus Hiereth berichtete über einen am Institut für anorganische und analytische Chemie der Technischen Universität entwickelten Katalysator zur Synthese komplexer organischer Stoffe.