Radio Okerwelle
Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
© Markus Hiereth
www.hiereth.de
forschung/0706hs5
03.07.2007

UMSTRITTENE HOCHSPANNUNGSLEITUNGEN

Anmoderation

Vorbei an den Gemeinden Wahle im Kreis Peine und Wartjenstedt im Kreis Salzgitter möchte der Stromkonzern EON eine 380-Kilovolt-Hochspannungstrasse führen. Mit dem Ziel, eine Umsetzung als Freileitung zu verhindern, haben sich Bürgerinitiativen zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen. Proteste gegen ähnliche Vorhaben im Raum Oldenburg gaben Anlass zu Ausschuss-Sitzungen und Debatten im niedersächsischen Landtag. Peter Nießen war im Jahr 2005 einer der Experten, die dazu im Umweltausschuss befragt wurden. Das diskutierte Gesundheitsrisiko und technischen Aspekte des Stromtransports standen im Mittelpunkt eines Telefonates, das Markus Hiereth am vergangenen Donnerstag mit dem Physiker und Leiter des Kölner emf-Instituts führte.

Anhören www.hiereth.de/multimedia/0706hs5.mp3
4 MByte / 8 min 46 s

Telefoninterview

Herr Dr. Nießen, Sie waren angehört worden im niedersächsischen Landtag zu Hochspannungsfreileitungen. Welche Beeinträchtigungen?

mh0000

Am besten untersucht: Kinderleukämie. Studien, die gesehen haben, dass ab 0,2 bis 0,4 Mikrotesla eine Verdoppelung von Kinderleukämie auftritt. Das ist ja ganz weit unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes.

pn0022

Der gesetzliche Grenzwert ist wo?

mh0101

Bei 100 Mikrotesla

pn0104

Da würde man ableiten, dass man den Grenzwert korrigiert. Gibt es da Bestrebungen?

mh0107

Sind mir von offizieller Seite nicht bekannt. Nicht alles was schädlich ist wird gleich verboten. Viele schädliche Dinge sind erlaubt und sicherlich gefährlichere als Leute niederfrequenten Magnetfeldern auszusetzen. Das tut der Gesetzgeber offenbar hier auch, mal abgesehen davon, dass der Effekt nicht als definitiv wissenschaftlich nachgewiesen gilt. Vor allem, weil er halt nicht verstanden ist. Als nachgewiesen gelten halt nur Effekte, die man erstens reproduzierbar beobachtet hat und für die man zweitens auch eine Erklärung hat. Und eine Erklärung hat man überhaupt nicht.

pn0112

Dass man aus den statistischen Studien nicht unbedingt Konsequenzen ableitet, das hängt sicher mit den Daten insgesamt zusammen. Können Sie mal auf diese Michaelis-Studie eingehen? Wieviele Leukämiefälle müßten auf diese Risiken zurückgeführt werden?

mh0203

Also da habe ich jetzt keine Zahlen zur Hand. Ich weiß nur, dass Kinderleukämie sowieso eine seltene Krankheit ist. Und die Leute, die in der Nähe solcher Hochspannungsleitungen wohnen, [das] ist natürlich eine kleine Zahl verglichen mit der Gesamtbevölkerung. Das heißt, von der Gesamtzahl ist das nur ein kleiner Anteil, der darauf zurückzuführen ist. Was nicht heißt für die Leute, die in der Nähe einer solchen Leitung wohnen, ist das schon ein bedeutender Effekt.

pn0246

Wie sind denn die Relationen: Das Feld, das man auf solche Leitungen zurückführen muss und die Felder, die man auf die Elektrifizierung eines jeden Hauses zurückzuführen hat?

mh0329

Also in normalen Wohn- und Büroumgebungen sind die typischen Felder zwischen 0,05 und 0,2 Mikrotesla. Das kann durch vielfältige Einflüsse höher werden. Durch eine schlechte Elektroinstallation, das kann ein Arbeitsplatz in der Nähe von Steigleitungen sein, wo der Strom für das ganze Haus hochgeht, das können elektrische Geräte im eignen Haus sein, das kann die örtliche Stromversorgung in der Straße sein, die im allgemeinen auch nicht auf Magnetfeldvermeidung optimiert wird. Trotzdem ist es so, die meisten Häuser, wo man reinkommt, da findet man Werte von unterhalb 0,2.

pn0344

Wenn man jetzt bei der Trassenführung von Stromleitungen 0,2 Mikrotesla fordert, welche Abstände müßte man denn realisieren, bei so einer Leitung, wie es jetzt im Bundesland Niedersachsen diskutiert wird? Höchstspannung mit 380 kV?

mh0436

Wenn die wirklich auf hoher Auslastung betrieben wird und man ansonsten darüber nichts weiß, dass man was an Phasenoptimierung daran getan hat, dann muss man vorsichtshalber ein- bis zweihundert Meter wählen. In Kanada, wo man viel Platz hat, sagt, lass' einfach vierhundert Meter sein. Das ist hierzulande schwierig, solche Abstände einzuhalten. Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt beim Design der Leitungen, also die einzelnen Leitungen so montiert, dass sie sich in ihrer Magnetfeldauswirkung kompensieren, dann kann man so eine Leitung auch so einrichten, dass auch 50 Meter reichen.

pn0543

Jetzt ist es so, die Bürgerinitiativen verfolgen als Ziel, dass die Leitungen unterirdisch gelegt werden. Da gibt es zweierlei Techniken: Einmal eine Kabelverlegung, und eine Leitung, die zusätzlich gasisoliert, in Kanälen geführt wird.

mh0635

Wenn ich jetzt zurückkomme auf Politik. Es wird gefordert, die Versorgung soll preiswert, versorgungssicher und umweltverträglich sein. Man kann nicht alles gleichzeitig haben. Wenn man preiswert nach oben stellt, was kommt dann 'raus?

mh0704

Nach momentaner Technik sind das die Hochspannungsfreileitungen. Das ist immer noch die billigste Technik.

pn0733

Es wird allerdings auch kritisiert, dass man da hohe Übertragungsverluste hat. Sind die anderen Leitungen da besser?

mh0743

Erdkabel haben an sich größere Kapazitäten, haben deswegen höhere Ladeströme und daher eher einen größeren Blindleistungsanteil. Das heißt, wenn die Leitung nicht benutzt wird, nur so vor sich hindümpelt, dann hat die größere Verluste.

pn1005

Was ich darüber weiß, sind die gasisolierten Leitungen, was Übertragungsverluste betrifft, besser. Die verlangen natürlich andere Aufwendungen.

pn0752

Sind denn die Erdkabel von der magnetischen Abstrahlung her systematisch besser?

mh0828

Grundsätzlich entsteht der Effekt dadurch inwieweit man die einzelnen Leiter zu so einem Gesamtsystem zusammenhängt. So eine Leitung besteht ja immer aus drei Leitern, die den drei Phasen des Stromnetzes entsprechen. Und wieviel Magnetfeld nach außen übrig bleibt, hängt davon ab, wie weit diese Leitungsteile auseinanderhängen. Das hört sich jetzt simpel an, dann könnte man sie ja 10 Zentimeter nebeneinander hängen und alles wäre gut. Das funktioniert nicht, weil dann die elektrische Isolation nicht gewährleistet ist. Das heißt, wenn ich die Luft als Isoliermittel nehme, muss ich sie ein paar Meter auseinanderhängen. Diese paar Meter erzeugen das Magnetfeld, was nach außen übrig bleibt.

pn0837

Bei einem Erdkabel, das ist naturgemäß isoliert, da kann ich die einzelnen Teile wesentlich dichter aneinanderlegen und kriege deswegen ein deutlich geringeres resultierendes Magnetfeld.

pn0927

Abmoderation

So weit ein Telefoninterview mit Peter Nießen, Leiter des "Fachinstituts für elektromagnetische Verträglichkeit zur Umwelt" in Köln. Sollte Sie diese Sendung live hören und eine Frage zu diesem Thema haben, können Sie uns diese während des nächsten Musikstückes telefonisch durchgeben: 0531-2444-111. Wir werden versuchen, sie in der weiteren Berichterstattung von Nanometer aufzugreifen. Oder Sie schreiben eine Mail an naturwissenschaft@okerwelle.de.