Radio Okerwelle
Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
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aktuell/0702st
01.03.2007

Nixon Agca aus Kamerun
- Frischgebackener Straßenbahnfahrer der Braunschweiger Verkehrs-AG

Anmoderation

Das Geräusch der erwarteten Straßenbahn - an der Haltestelle stehend, hört der Fahrgast es ausgesprochen gern. Doch ab und zu ist die Freude verfrüht, nämlich, wenn die Bahn zwar fast leer ist, aber vorne anstatt einer Nummer und einer Endhaltestelle "Werkstattfahrt" oder "Fahrschule" zu lesen ist. Mindestens zehn neue Straßenbahnfahrer wird die Verkehrs-AG in 2007 brauchen. Die fünf ersten legten vor kurzem ihre Prüfungsfahrt ab. Wenige Tage darauf war Markus Hiereth mit einem von ihnen im Straßenbahndepot verabredet.

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Beitrag

Wir sind fünf Fahrschüler und jeder fährt und wird geprüft und ein paar Fragen gestellt. Dass man weiß, wie die Weichen liegen, da man nicht durch den Trenner mit Strom fährt und solche Sachen. Jeder fährt zirka 20 Minuten und das war's.

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Das klingt nicht gerade spektakulär. Nickson Achas Gelassenheit bei seiner Fahrt gründet nicht darin, dass das Rückwärtseinparken nicht vorzuführen war, vielmehr sahen sich er und die vier Mitprüflinge dank "optimaler Schulung" bestens auf die Prüfung vorbereitet. Hinzu kommt, dass sie nicht erst seit gestern Fahrgäste durch Braunschweig transportieren. Nickson Acha arbeitet seit Sommer 2005 am Lenkrad von Bussen. Mit der Schulung zum Straßenbahnfahrer setzte er im Januar an, seine Einsatzmöglichkeiten bei der Braunschweiger Verkehrs-AG zu erweitern. Straßenbahnfahrer: Ein verantwortungsvoller und, aus kindlicher Wahrnehmung, ein aufregender Beruf. Doch hätten die braunen Augen des kleinen Nickson Acha geleuchtet, wenn man ihm vor zwanzig Jahren verraten hätte, dass er dereinst mit weiß-roten und andersfarbigen Straßenbahnen durch Braunschweig rauschen würde? Nickson Acha meint nein, denn Berufsträumen könnten die Jungen und Mädchen seiner Heimat nicht nachhängen.

Ich komme aus Afrika und bei uns ist es wirklich anders. Man hat nicht diese Möglichkeit nicht, zu wissen, was man wirklich machen will. Also diese Orientierungsphase fehlt bei uns in Kamerun.

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Sie hätte auch wenig Sinn, scheinbar bestimmen dort eher Beziehungen und die politische Haltung über Beruf und Karriere. Nach einem Studium der Biochemie ersuchte Acha vor sieben Jahren um Asyl; in Deutschland, was natürlich auch hieß, beruflich nochmal von vorne anzufangen. Das Arbeitsamt finanzierte ihm eine Ausbildung zum Busfahrer. Aus Sicht seines Arbeitgebers bewährte er sich am Lenkrad und ebenso sprach Nickson Achas Lernwille dafür, ihn auch für den Einsatz auf stählernen Drehgestellen zu schulen. Ein wenig Verwunderung und viel Dankbarkeit klingen an, wenn er auf die eineinhalb Jahre bei der Braunschweiger Verkehrs-AG schaut.

Ich denke, ich habe in kurzer Zeit was Gutes gefunden, was mir gefällt. Es ist alles ganz in Ordnung, was ich jetzt habe, wirklich fein.

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In der Personenbeförderung zu arbeiten heißt, nach Schichtplan Dienst zu tun; für Fahrgäste, die sich die Verkehrs-AG nicht aussuchen kann: Unausgeschlafene Menschen am Morgen mögen unproblematisch sein, nachts um elf jedoch haben die Fahrer es mit anderen Klienten zu tun. Unkultivierte und Frustrierte zählen dazu; statt mit Fahrschein in der Tasche eine Zigarette oder die Bierflasche in der Hand. Es braucht nicht viel Phantasie, sich heikle Situationen auszumalen; Menschen, die die gleiche Augenhöhe nicht kennen, die sich provoziert fühlen und provozieren, weil ihr Gegenüber dunkle Haut hat.

Ich würde nicht aufstehen und sagen, "Jetzt raus". Das ist das, [wenn] Schwierigkeiten kommen. Vielleicht wollte er genau das und er fängt an, mit Dir zu brüllen oder solche Sachen. Ich würde mich nur bei der Leitstelle melden, vielleicht brauche ich Polizei, die würden das für mich machen. Aber ich führe meine Fahrt weiter. Man versucht das so, dass der Betrieb nicht behindert ist.

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Die Ausführungen des deutsch-kamerunischen Fahrers gründen in Disziplin und einem Streben, zunächst einmal Diener der Allgemeinheit zu sein; Tugenden, die man den guten Traditionen des Beamtentums zuordnen würde. Bei Nickson Acha liegt dies inmitten eines weiter gefassten Horizonts. Er sagt, er sei Christ. Und das sollte ein paar Standards für den Umgang miteinander setzen, Standards die ihn mit den Menschen dieser Stadt verbinden.

Also meine Hautfarbe: Manche Leute denken, "Oh, wie geht er mit den Leuten um mit seiner Hautfarbe, es ist hervorragend." Ich möchte eher sagen, Braunschweig ist eine schöne Stadt. Es sind nette Menschen dabei. Ich mache einfach meinen Job und ich fühle mich gut in Braunschweig. Es ist eine Stadt, ich habe nie Schwierigkeiten gehabt. Habe Leute befördert wie ich zu tun habe oder soll.

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Nochmal scheint das Ethos durch, Menschen durch die eigene Arbeit zu dienen. Bliebe die Frage, ob einzelne Gefährte dies manchmal erschweren und es mit anderen leichter fällt. Das eine setzt sich auf Hebeldruck mit sirrender Elektronik in Bewegung und stiebt hinter kunststoffener Krokodilsmine der Weststadt zu. Ein anderes dreht am Radeklint, hat dreißig Jahre auf dem Buckel und zählt ebensoviele Tonnen in Blech und Stahl. Durchaus denkbar, dass ein Fahrer solchen Unterschieden beim Nehmen von Kurven Rechnung zu tragen hat. Ja, geschult worden sei man auf allen Typen. Im Führerstand jedoch zähle das Befinden der Fahrgäste mehr als die Grenzen beim rollenden Material. Und obendrein nähmen sich die Männer im Betriebshof dem technischen Zustand betagter Wagen in bester Weise an, wodurch es letztlich eine Frage der Neigungen sei, ob der Job hoch im badewannenrunden Bug einer Straßenbahn Jahrgang 1973 eine Freude sei.

Nee, es doch klar, dass man langsam in Kurve fährt. Schlag ist nicht angenehm für die Fahrgäste. Na gut. Wenn irgendetwas alt ist, ist sie alt, aber bis jetzt habe ich noch kein Problem gehabt mit irgendeiner. Wir sind durch die ganze Reihe. Die 73er, die fahren auch gut, die 77er. Wenn man wechselt von alten BMW zu neuem, der fährt ein bisschen anders. Also man denkt sich, das sind Oldies, manche Leute fahren das gern. Ich kann das noch nicht sagen, bin nicht so lange dabei, ich muß selber noch viel mehr "miles" fahren.

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[abfahrende Straßenbahn]

Abmoderation

Viele schöne und vor allem unfallfreie "miles" sind ihm und den anderen neuen Kollegen auf den Schienen der Verkehrs-AG zu wünschen. Markus Hiereth traf Nickson Acha, den ersten afrikanisch-stämmigen Straßenbahnfahrer Braunschweigs.