Radio Okerwelle
Markus Hiereth
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19.12.2006

Musikerportrait LUKA BLOOM - Teil 1

Sendungseröffnung

Heute, an diesem Samstagnachmittag den 23. Dezember stehen die meisten wohl an der Kante vom Erledigungsstress zum Feiertagsmarathon. Als Versuch einer Verführung weg von beidem dürfen Sie die kommende knappe Stunde auffassen. Das Material dazu entnehme ich vier CDs von Luka Bloom. Am 18. September war die Kuba-Kulturhalle in Wolfenbüttel Station jener Tournee, durch welche er sein 2005er Album "Innocence" in Deutschland vorstellte. Vor dem Auftritt hatten Peter Freiwerth und ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem irischen Musiker. Ausschnitte daraus streifen die Entstehung der jüngsten CD, Luka Blooms Gedanken zur Musik und zur Rolle von Musikern und schließlich die Hintergründe einiger Songs. Am Mikrofon begrüßt Sie Markus Hiereth.

Sendung

Luka Bloom (2005) First light of spring

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1 MByte / 2 min 53 s
Heute, zwei Tage nach Winteranfang mit "First light of spring" das erste Licht des Frühlings besingen zu lassen, ist mein Stück redaktioneller Freiheit. Doch schon beim nächsten Titel passen Sonnenbahn und Musik wieder zusammen. Zuvor allerdings möge Luka Bloom selbst zu Wort kommen. Das 2005er Album ist Luka Blooms zehntes und ich fragte ihn, was das neue an "Innocence" sei.
lb0104 Es ist das erste Mal, dass ich ein Album zuhause aufgenommen hab'. Sonst, wenn ich mit zuhaus geschriebenen Songs ins Studio gehe, brauche ich eine gewisse Vorstellung, suche die Stimmumg, damit das Gefühl stimmt. Das fällt weg, wenn die Songs im selben Raum aufgenommen werden, in dem sie auch geschrieben wurden. Daher ist mir dieses Album sehr nah, es ist sehr persönlich. pf0347 Warum habe Sie den Titel Unschuld / "Innocence" genommen. Von den Sex Pistols gibt es einen Song "Keiner ist unschuldig" lb0355 Ich wurde letztes Jahr fünfzig und das ließ mich über Dinge nachdenken, die mir wichtig geworden sind. Haare und Zähne etwa, die man gerne behält. Und für einen Songautor gehört auch ein wenig Unschuld dazu. Ich denke, wenn ein Songautor ein Gefühl von Unschuld, den Sinn für Zauber und Schönheit verliert, werden die Lieder am Ende Mist. Dann wird man ein verbitterter, zynischer alter Mann und das stelle ich mir ziemlich langweilig vor.
Peter Freiwerth war es, der nach dem Hintergrund des Albumtitels "Innocence" fragte. Hier nun der Titelsong und wenn Sie eine Übersetzung einiger Zeilen daraus hören, wissen Sie, warum dieses Lied noch vor Weihnachten ins Programm sollte
Ich liebe immer noch den Duft
den süßen Duft des Weihrauchs
denn die Gebete und Glocken
machten zweifelsfrei Sinn
Über alles liebte ich
den Segen am Schluß
mit der Zuversicht eines Kindes
von Unschuld

Ich erinnere mich der Kerzen
am Weihnachtsbaum
und der Erwartung dessen,
was ich geschenkt bekam
der Freude
der Liebe und des Glaubens
und der Wiegenlieder
über welche ich einschlief

Zwischen der Vergangenheit
und allem was die Zukunft bringt
ist es Unschuld
die ich wähle
Luka Bloom (2005) Innocence

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1 MByte / 2 min 50 s
Luka Bloom ist kein prominenter Musiker, auch nach vielen und von Kritikern auch häufig gelobten Alben. Andererseits wuchs sein Werk stetig über einen Zeitraum, in welchem sich Bands formiert und auch schon wieder aufgelöst haben. Ich fragte Luka Bloom, ob diese Umstände für ihn eher dafür sprechen, weiter solo zu arbeiten oder ob er nicht manchmal einen Gedanken daran verschwende, Musiker aus der Arbeit an seinen Album fester an sich zu binden oder vielleicht wieder in einer Band zu spielen.
lb0807 Zur ersten Frage: Mir bin als Solokünstler sehr glücklich. Trotzdem stimmt es schon: Es kommen immer wieder tote Punkte, immer wieder fragte ich mich, wie ich meine Musik interessant halte. Wenn jemand aus einer Band ausscheidet, verändert das die Dynamik, die Energie. Das stimmt. Bei einem Einzelkünstler jedoch kann sich nach zwei oder drei Alben die Langeweile einstellen, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Leute, die zuhören. Bei meinen Alben, angefangen mit "Riverside", "The acoustic motobike" "Turf" "Salty Heaven", "Amsterdam" bis zu "Between the mountain and the moon" ist jedes anders, denn bei mir ist es so: Ich bringe ein Album heraus, toure mit ihm ein Jahr oder 18 Monate und dann ist Schluss. Ein halbes Jahr mache ich nichts, schreibe keine Songs. Das bedeutet aber auch: Das Wiederanfangen ist schrecklich. Wie für ein Schulkind, das in eine neue Schule muss: Was mache ich? Was habe ich zu sagen? Ich höre auch immer unterschiedliche Musik. Singer-Songwriter höre ich nicht, bei mir läuft Jazz, manchmal nordafrikanische Musik, Zigeunermusik, kaum Rockmusik. Insofern ist es so, wenn ich mich ans Schreiben neuer Lieder mache, ist hier oben immer etwas anderes , nie das gleiche Gefühl. ... Mein schlimmster Alptraum wäre, dieselbe Platte zweimal zu machen, denn das langweilt mich und wenn es mich langweilt, dann langweilt es auch die Leute. Das gibt es bei Singer-Songwritern oft: Einer macht ein Album und es ist zauberhaft. Dann kommt das zweite und es ist schön aber ein bisschen wie das erste. Dann kommt das dritte und auf einmal hat es jeder "über". Also versuch ich es für mich aufregend zu halten und wenn es das für mich ist, gibt es auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich auch andere dafür interessieren.
Luka Bloom (2005) June
Mit "June" ist auch beim dritten Lied in dieser Sendung einer Jahreszeit die Reverenz erwiesen, nach Winter und Frühling erklärt Luka Bloom in dessen Liedzeilen dem Sommer und den längsten Tagen des Jahres seine Liebe, wenn das Gras sich im Wind wiege, Lavendel dufte und Hitze den Schweiß auf die Haut bringe. Damit zurück aus der Natur in die Welt der Musikproduktion, der Studios. Essenz der vorhergehenden Interviewpassage war Luka Blooms Streben, nicht an einem Punkt stehenzubleiben, sondern sich auf die Vielfalt der Musikstile und -traditionen einzulassen. Hinsichtlich seines eigenen Schaffens verlangt er einen Grad an Freiheit, der mit dem Gefüge von Rock- und Popbands unvereinbar sei.
lb1334 Um mich geht es nicht. Es geht um die Songs, das ist mein Problem mit Rockbands, bei ihnen geht es nie um die Songs. Da heißt es "Wir haben einen Bass, einen Schlagzeuger und einen Gitarristen" und bekommen alle Stücke Gitarre, Schlagzeug und Bass, selbst wenn der Songs nichts als eine Gitarre braucht. Nur weil wir eine Band sind, müssen wir alle die gleiche Scheiße spielen, immer und immer wieder. Für mich kommt es auf den Song an. Ich höre ihn mir an, nehme ihn auf und dann kann es sein, dass er perfekt ist, nur Gitarre und Gesang, nichts sonst. Der nächste Song braucht vielleicht etwas anderes. Ich behandle Songs wie Kinder; ich frage mich "Was braucht dieses Kind in der Welt draußen, damit es die Leute beachten?" Jeder Song braucht etwas anderes: Manchmal die Einfachheit einer Gitarre, manchmal Streicher, Bass. Alles ist möglich, wenn man nicht in einer Band gefangen ist.
Luka Bloom (2005) Venus
Luka Blooms Wurzeln liegen im Folk. Mit rauhem Meer und einer grünen Insel lassen sich Titel wie der eben gehörte nicht verbinden. Vielmehr klingt bei "Venus" Reinheit und Selbstvergessenheit an - Elemente aus dem Kunstlied der deutschen Romantik - umgesetzt mit Instrumenten aus Klassik und Jazz.
Luka Blooms harsche Worte über die Akteure in Rock und Pop machen natürlich neugierig darauf, wer unter ihnen vor seinen Ohren Bestand hat. Nicht nur Besucher seiner Konzerte können es erfahren, wenn er Songs anderer Musiker ins Programm aufnimmt, nein, im Jahr 2000 veröffentlichte er unter dem Titel "The keeper of the flame" eine ganze CD mit Cover-Versionen. Von U2's viertem Album "The unforgettable fire" übernahm er "Bad".
Luka Bloom (2000) Bad
Ein Blick auf die Trackliste besagter Cover-CD zeigt die Breite von Luka Blooms Musikwahrnehmung an: Als Track 6 taucht ein Song von Joni Mitchell, "Urge for going" auf. Als Track 11 gibt es Abbas "Dancing Queen", eine Geige untermalt hier Gitarre und Lukas Gesang. Mit dezentem Tastenwirbel auf dem Akkorden entschwindet "Dancing Queen". Peter Freiwerth fragte Luka Bloom, wann für ihn ein Song zum Covern in Frage komme.
lb1605 Das ist eine schwierige Frage. Manchmal vergehen drei Jahre und ich höre nichts und ich lerne keine Coverversion. Die Frage ist einfach die: "Wenn ich diesen Song lerne, kann ich etwas von mir hineinlegen?" Gibt es eine Verbindung mit meinem Leben, meinem Rhythmus, meinem Klang, meiner Stimme, Anders hat es keinen Sinn.
Als drittes und letztes Beispiel für die Übernahme eines Songs nun ein Titel, der auch beim Konzert in Wolfenbüttel zu hören war. Vorangestellt erklärte Luka Bloom seine Verehrung für dessen Autor, Robert Smith, Sänger der Gruppe The Cure: "In between days".
Luka Bloom (2000) In between days
Die Landschaft Irlands und das Dasein von Auswanderern sind wiederkehrende Themen Luka Blooms. Einen Schnitt in seiner Musikerkarriere markiert die Annahme des Künstlernamens Luka Bloom und die Übersiedlung nach New York. Dreizehn Jahre später prägt die aktuelle CD "Innocence" das irische Element wieder viel stärker. Ob er sich vorstellen könnte, sich erneut in die Welt aufzumachen, war eine meiner Fragen an ihn. Als "nicht gerade wahrscheinlich" würde ich die Antwort zusammenfassen. Aber als Land, in welchen glaubt, sich wohlfühlen zu können, nennt er Australien. Hier nun Luka Blooms Song "Diamond mountain". Darin spricht er von der Verbindung seiner Heimat mit fünften Kontinent, irische Auswanderer haben ihre Volkslieder und ihre "magischen Melodien" nach Australien mitgenommen.
Luka Bloom (2003) Diamond Mountain

Audiodatei unter
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1 MByte / 3 min 46 s
lb1817 Ich kann überall wohnen, solange es in Irland ist, weil dort ist meine Familie, dort habe ich Verantwortlichkeiten. Ich kann nicht wirklich überall leben. Ich kann nicht ins Ausland gehen so wie vor zwanzig Jahren und ich halte es für unwahrscheinlich, dass ich nach Deutschland oder nach Holland gehe. Niemals mehr werde ich in Amerika leben. Ich werde immer Besucher sein. Einzig Australien, das würde mich zusagen. Im Grunde bin ich ein Wanderer im Geiste, das trifft es. lb1901 Ich bin ein Reisender, der ein wenig sieht und Menschen trifft, der ein bisschen vom Gefühl einer Gegend oder einer Stadt mitnimmt. Aber es ist schon richtig, eine Menge meiner Songs steckt das Land, das mich umgibt. mh1918 Bekommen Sie die Inspiration im Urlaub oder am Rande von Konzerttouren, wenn man sich vielleicht mal eine Woche freinimmt? lb1941 Ich hatte die letzten dreissig Jahre keine Urlaubsreise; weil ich bin ein arbeitender Musiker und wenn ich einmal nach Hause komme, dann ich das letzte, was ich sehen will, ein Flughafen. Um so zu reisen, wie Sie meinen, müsste ich ein Jahr keine Konzerte geben, ich würde mich nur mit meiner Gitarre auf den Weg machen. Möglicherweise mache ich das auch bald, aber momentan geht es nicht, weil mich meine Platten beschäftigen. In drei Monaten kommt eine neue heraus, insofern ist es schwierig. lb2032 Aber ich kann Ihnen ein Beispiel nennen. Vor fünfzehn Jahren trat ich das erste Mal in der Schweiz auf, in Lausanne. An diesem Abend ging ich in einen Punker-Club. Da waren lauter Punks, junge, schweizer Punks, die Stimmung war großartig. Ich tat mich mit ihnen zusammen und weil es die erste Nacht in Lausanne war, bat ich eine von ihnen, mir die Stadt zu zeigen. So hatten wir einen Spaziergang und sie zeigte mir die "Pont de Bessière". Das ist eine riesige Brücke, zwanzig Meter hoch und unten läuft eine Autobahn. Sie erzählte, dass jedes Jahr zu Weihnachten im Schnitt zehn Teenager von der Brücke springen; auf die Autobahn und sterben. Das erfuhr ich um zwei Uhr nachts und spürte nur einen unglaublichen Schock. Wieder zuhause, hatte ich immer noch diese Vorstellung im Kopf. Einen Monat später rief ich sie an und bat sie, mir nochmal von dieser Brücke zu erzählen und erfuhr auch noch von dem Mann, der Weihnachten auf der Brücke schläft um die jungen Leute davon abzuhalten, von der Brücke zu springen. So entstand der Song "Bridge of sorrows", der in der Schweiz 1993 tatsächlich in die Top Ten kam. Ohne diesen Abend in Lausanne wäre der Song nie entstanden. Es ist schön, wenn sowas passiert, aber man kann es nicht planen. Man sagt sich nicht 'Jetzt gehe ich nach Prag und schreibe Lieder'; weil es passieren kann dass man dort ist und sich Langweile breitmacht. Etwas wie Inspiration kommt einfach so, natürlich.
Luka Bloom (1992) Bridge of sorrow
"Bridge of sorrow" von Luka Blooms drittem Album "The acoustic motorbike" aus dem Jahr 1992. Ein Song, gründend in Berichten von Selbstmorden von Jugendlichen in der Schweizer Stadt Lausanne. Die Reflektion von Gesellschaft und politische Haltungen liegen nahe beieinander. Peter Freiwerth fragte Luka Bloom, inwieweit er politisch Stellung beziehe oder beziehen möchte.
lb2255 Dass Songs und Songschreiber die Macht haben, die Welt zu verändern, glaube ich nicht. Mag sein, dass ich das früher anders sah. Es liegt mir fern zu glauben, dass, nur weil ich Songs schreibe und eine Gitarre habe etwas sagen muss, was etwas verändert. Es ist auch eine seltsame Vorstellung, dass ein Kerl mit einer Gitarre sich verantwortlich fühlen sollte, die Welt besser zu machen. Irgendwie mag ich die Welt wie sie ist, Ich mag das Chaos. Aber manchmal, wenn etwas passiert und es mich ausrasten läßt, dann schreibe ich darüber. Aber ich wache nicht auf und habe das Gefühl, jetzt muß ich etwas über den Iran sagen, das ist wichtig. lb2359 Ich meine nicht, dass ich wichtig bin. Ich denke, das am wenigsten wertvolle an mir ist meine Meinung. Liebe ist mir das einzig Wichtige, in meinen Songs, meiner Musik, meiner Arbeit, überall. Jeder hat eine Meinung. Wie Clint Eastwood sagte "Meinungen sind wie Arschlöcher, jeder hat eines." Ich komme aus einem Land voller Meinungen. Man braucht eine Straße in Dublin oder Belfast hochlaufen und jemanden anhalten und fragen: "Was denken sie über .... Südafrika, Nordkorea, Iran, Palästina, Libanon" Jeder meint etwas anderes. Also, ich bin nur ein Sänger und ich weiß, was ich ausdrücken möchte. Wenn in der Welt etwas passiert und es mich schmerzt, dann werde ich es sagen. Aber wenn es aus dem Kopf kommt, dann tut man es, um Leute zu beeindrucken und das ist Mist und das ist alles, was ich zu sagen habe.
Dies war der Abschluss eines Gespräch mit dem irischen Musiker und Songautor Luka Bloom, geführt vor seinem Konzert in der Kuba-Kulturhalle in Wolfenbüttel am 18. September 2006. Die Übersetzungen sprach Norbert Fischer. Dem folgenden Titel "Peace on earth" stellte Luka Bloom voran, dass er unter dem Eindruck des blutigen Geiseldramas von Beslan im September 2004 entstanden sei. An Tagen wie jenen, wenn er merke, dass ihm die Worte zu einem Song fehlten, dann helfe seine Gitarre ihm. Das Stück "Peace on earth" ist ein Instrumental.
Luka Bloom (2005) Peace on Earth

Sendungsabschluss

Im Mittelpunkt der vorangegangenen Stunde stand der irische Musiker Luka Bloom, der am 18. September in der Kubahalle in Wolfenbüttel sein Album "Innocence" vorstellte und mir und Peter Freiwerth ein Interview gab. Falls Sie Lust haben, mehr Musik von Luka zu hören, gibt es dazu im Feiertagsprogramm noch Gelegenheit. Denn eine mit Bezug zum damaligen Konzert besonders geeignete Scheibe blieb hier außen vor. Sie werde ich in einer zweiten Luka-Bloom-Spezialsendung besonders berücksichtigen. Es ist Luka Blooms Live-CD "Amsterdam". Ihr Teil daran wäre, am ersten Weihnachtsfeiertag um 19 Uhr wieder Ihren Sender für die Region Braunschweig, Radio Okerwelle 104,6 einzuschalten. Bis dahin verabschiedet sich als Redakteur am Mikrophon Markus Hiereth