Anmoderation
In Pandoora vor genau einer Woche informierten wir über die anstehende Eröffnung der Ausstellung "Zero für den Maler" von Georg Baselitz im Kunstverein Braunschweig. Ob Bilder funktionieren oder nicht funktionieren, wenn sie kopfüber an die Wand kommen, erwies sich als komplizierte Angelegenheit, wobei Richtigzustellen wäre: Ein von Baselitz kopfüber gemaltes Portrait sollte genau so an die Wand, denn umgedreht wird es den Ausstellungsmachern zufolge auch nicht "funktionieren", selbst wenn dann, wie man es für ein Portrait erwartet, Stirn und Augen über Mund und Kinn zu stehen kommen.
Beitrag
Doch sehr verbunden bin ich Georg Baselitz insofern, als dass uns das größte und freistehend in der Mitte des roten Saales der Villa Salve Hospes präsentierte Bild eine Erörterung dieser Problematik erläßt. Denn die linke und rechte Bildhälfte füllt eine Figur; die linke aufrecht konventionell, die rechte mit den Beinen nach oben. Reflexhaft möchten die Augen ein solches Werk immerfort Drehen, abgesehen von der Bildmitte scheint nichts in Ruhe, sondern befindet sich im Feld schleudernder Kräfte. Dabei ist dies Malerei, die über die Suggestion von Bewegung hinaus auch blitzlichtartig den Augenblick festhält: Denn die Bildfläche ist übersät mit Farbspritzern und die Konturen beider Figuren sind krakelig; ein Beben scheint ihnen anzuhängen. Mit dem Quast verteilte Farbe, mit Abdrücken von Baselitz' Schuhsohlen und seinen Farbtöpfen kontrastiert dieses geradezu hingeworfene Stück mit dem glänzendem Parkett und dem noblen Kristallleuchter im Saal. Karola Grässlin erläutert, inwiefern
Unglaubliche Leichtigkeit und Frische dieser Bilder im Vergleich zu den alten Werken, die ja meistens sehr pastos sind und wo die Gegenständlichkeit aus ganz vielen Schichten, man kann schon fast sagen aus einem Matsch von Farbschichten entstehen. Die Neuen Bilder sind von Leichtigkeit, diese ist überraschend. Oft ist ein Spätwerk eher schwerfällig.
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Das "Remixen", also ein Malen nach eigenen, älteren Werken beschäftigt Georg Baselitz seit gut einem Jahr. Wobei Leichtigkeit auch schlicht davon herrührt, dass Baselitz den Raum um seine Figuren herum kaum ausarbeitet. Weiße Tünche oder gar bloße Leinwand umgibt sie.
und dann ist es auch so, dass die Remixed-Bilder meist auf größeren Leinwänden als ursprünglichen Motive, dadurch mehr Bildraum.
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Bei dem eingangs beschriebenen Werk mit seinen vier Metern Breite und drei Metern Höhe blieb es dem Kunstverein gerade noch erspart, die Leinwand aus den Spannrahmen zu lösen, um es durch die Tür in den Saal zu bekommen, was Karola Grässlin vom Kunstverein Braunschweig durchaus lieb war. Es wäre bedauerlich gewesen, auf dieses Werk zu verzichten, selbst wenn die Auswahl im Atelier auf Schloss Derneburg beträchtlich gewesen sein muss. Die Kunstvereins-Kustodin kennt Georg Baselitz als fleißigen Menschen ...
Er arbeitet immer. Auch im Sommer auf seinem Landsitz. Er kann ohne Arbeit nicht sein. Remixbilder sind schneller gemalt, er muß das Motiv nicht neu ausdenken. Er hat die Möglichkeit, mit einem viel schnelleren Gestus zu arbeiten und dadurch bekommen die Bilder zeichnerischen Charakter.
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Doch eine unvermittelt-direkte Arbeitsweise erzeugt beileibe nicht durchgehend von Leichtigkeit geprägte Stücke. Ebenfalls zur Ausstellung gehören etliche Holzskulpturen. Als wäre Baselitz statt dem Skizzenstift die Kettensäge in die Hände gelegt worden, sind sie kantig und massiv. In einem klumpigen Schuh stecken Wade und Bein. Ob es die Rolle dieser Füße ist, ein mittels Bildumkehr und spritzender Farbe beflügeltes Haus Salve Hospes auf seinem Fundament zu halten?
Überhaupt ist die Ausstellung sehr konzeptuell [...] und es ehrt mich ein bißchen, weil ich dafür bekannt bin, dass ich die konzeptuelle Kunst liebe. Baselitz sagte schon bei seiner ersten Ausstellung, 'ich mache ihn fast zum Konzeptkünstler'. Ich denke, die Ausstellung ist sehr gelungen.
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Selbstverständlich beeinflusst solches Hintergrundwissen die Sichtweise von Besucherinnen und -besuchern. So vermerkte ich im ersten Raum des Obergeschosses das Bild eines Beinpaares in Baselitz' Motivumkehr, also Sohlen oben und Fußboden quasi als Plafond. Einen Raum weiter wiederholt sich dieses Motiv, im dritten Raum ein weiteres Mal, womit am Ende, durch zwei Türbögen getrennt, drei Beinpaare jener Schwerkraft widersprechen, die ich selbst unter den eigenen Sohlen vermerke. So beginnt eine Reflexion über das eigene Stehen hier, die jedoch im vierten Raum mit einem vierten Beinpaarbild abrupt endet. Denn dieses kann unmöglich mit ins Blickfeld, womit sich die Reihe zwar fortsetzt aber der Bezug zum Ausstellungsort verschwindet.
Für mich ist es überhaupt nicht der Eindruck so. Unterschiedliche Malgesten erkennbar, jedes Bild steht für ganz große Qualität.
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Abmoderation
Für Pandoora setzte sich Markus Hiereth mit der aktuellen Ausstellung mit Malerei und Skulpturen von Georg Baselitz auseinander. Selbst besuchen können Sie diese bis zum 5. November täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr im Haus Salve Hospes am Lessingplatz 12. Führungen sonntags um 14 Uhr 30 oder nach Vereinbarung.