Moby Dick zählt zu den bekanntesten Romanen der Welt. Wer ihn nicht gelesen hat, ist durch Verfilmungen mit dem Stoff vertraut - einem unerbittlichen Kampf zwischen Mensch und Tier. Wer nun Moby Dick im Programm des Staatstheaters registriert, wird sich fragen, "Wie soll das denn gehen - Mit Miniaturschiff in einem Bassin und Walfisch-Bildern in den Kulissen?". Steigt man allerdings die letzten Stufen des Theaterspielplatzes hinauf, bröckelt die Skepsis. Denn mich empfing hier ein pechschwarzer und leicht vernebelter Raum ...
... wie auf See bei Nacht. Immerhin riecht es nicht nach Salz, Meer, Fisch oder Tran. So nimmt man zwischen Kindern Platz in Rängen, die für's nächsten wohl kaum rumpelnd und splitternd auf dem Rücken eines Monstrums emporgeschleudert werden.
Für paar Sekunden erlischt auch noch das publikumsseitige Licht und selbst die kleinen Zuschauer halten still, dann stehen unter Kapuzen vermummt Björn Jacobsen, Marko Werner und Christian Wincierz vor ihnen. Ein jeder hält eine Öllampe in der Hand, deren fahles Licht gerade in zwei Meter Umkreis Orientierung erlaubt. Das Trio berichtet aus den vergangenen Tagen der Segelschiffe und Öllampen.
Wir waren auf ihr Öl aus. Öl für Lampen wie diese. Öl vom Wal. Ohne den Wal hätte es nachts kein Licht gegeben. Der Wal wurde über alle Meere gejagt. Davon erzählt diese Geschichte. Moby Dick.
Unvermittelt ist der Bann da, denn die Abstimmung zwischen den Darstellern, die Gestaltung des Textes ist perfekt. Wir lernen Ismael kennen, der seiner Tage auf dem Festland überdrüssig ist und sich von der See die Abenteuer der weiten Welt verspricht. Bald begleitet ihn das Publikum durch die Szenerie, wie sie der Autor Moby Dicks, Herman Melville entwarf: Schiffe, die nicht des Ankerns wegen gezimmert wurden, das zusammengewürfelte und zäh feilschende Volk des Hafenquartiers, eine dubiose Herberge
Die einzige offene Absteige nannte sich "Im Walbauch". Bett frei is'nich. Oder nur ein halbes. Des mußt du dir allerdings mit dem Harpunier teil'n. Einer jener Burschen, die bei der Jagd den Wal als erster anstechen. Der ist aber noch in der Stadt. Will seinen Kopf verkaufen.
Geschwind wird aus dem Wirt Peter der Reeder Peleg, aus diesem wiederum Bootsmann Stubb und später auch noch Käptn Ahab. Dabei erweist sich die dünne Personaldecke und der spartanisch ausgestattete Bühnenraum keineswegs als Mangel. Der Mast in der Mitte genügt, an ihm werden Horizontale und Vertikale gekreuzt, Slapsticks werden offeriert, Schauspieler und Publikum fassen sich an; und wenn es brenzlig wird, entfacht die Regie, fast ein wenig zu breitflächig, interessant-polyrhythmische und zugleich höllisch laute Percussions.
Anker lichten. Segel setzen. Potzblitz, hoch das Teil!
Die Jungs und auch die Mädchen werden das Theater als den Ort vermerken, an dem Rabbatz gemacht wird. Grenzen der Inszenierung zeichnen sich bei zahlreich gesäten, aber doch teils grob gezimmerten Bezügen zur Wirklichkeit ab.
Es ist mir egal, ob Moby Dick nur das Werkzeug ist oder der Dämon selbst. Ich werde ihn mit meinem Haß überziehen.
Ihr seid nun Teil dieses unauflöslichen Bundes "Tod dem Moby Dick"
Spiegelbildlich dazu begreift sich Kapitän Ahab als Werkzeug Gottes und geriert sich als dessen Platzhalter auf den Planken. Aber das leuchtende Neonröhren-Kreuz bleibt schrilles Beiwerk, die Posen Machtbessener aus der Geschichte oder die Überhöhung des Geschehens durch Phrasen religiöser Fanatiker leuchten doch nicht recht ein. Insofern bleibt uns als Erwachsenen für die Pause und den Weg nach Haus Stoff zu grübeln. Gemeinsam mit den Kindern aber habe ich auch etwas gelernt. Zwar hatte ich schon einmal vom "Walrat" gehört, näheres allerdings erfuhr ich bei dieser Gelegenheit im Theaterspielplatz
So schlachteten wir soviel wir konnten. Das Walrat wurde aus den Köpfen geschöpft. Der Walrat, oder, Spermacet, diese ölige kostbare Substanz aus dem Pott des Wales, mußte sorgsam aufbereitet werden. Sobald es abgekühlt war, bildeten sich seltsame Klumpen in dieser Flüssigkeit. Wir hatten die Aufgabe, diese Klumpen durch Drücken wieder flüssig zu machen. Eine wundervolle Aufgabe. Wie es duftet, wie weich es macht. Wie köstlich es besänftigt. Kaum hatte ich das Spermacet ein paar Minuten geknetet, als sich meine Finger wie Aale anfühlten und sich schon ringelten und schlängelten. Drücken. Drücken. Den ganzen Morgen lang. Ich drückte dieses Spermacet bis mich ein seltsamer Wahn überkam, solche überströmend zärtliche, freundschaftlichen Gefühle kamen in mir hoch daß ich zuletzt ihre Hände in einem fort drückte. Als wollte ich ihnen sagen 'Kommt, laßt uns einander reihum die Hände drücken. Nein, mehr noch, wir wollen uns alle ineinander drücken. Wir wollen uns alle, auf der ganzen Welt, hineindrücken in dieses Walrat. Und jetzt, wo ich das alles begriff, war ich bereit, für ewig Walrat zu drücken.
Dank Können und unbändiger Spielfreude der drei Darsteller liefert das Staatstheater Erik Schäfflers Bühnenfassung von "Moby Dick" als ein fast schon eigenständiges Kunstwerk, welches gar nicht mehr fragen läßt, wie Literatur gespielt wird, sondern die Lust weckte, nach einem aufregenden Abend auch noch nach dem Roman Herman Melvilles zu greifen.
Ich [Markus Hiereth] besuchte die Premiere von "Moby Dick" am vergangenen Samstag. Weitere Aufführungen gibt es vormittags um 10 Uhr am morgigen Freitag den 7. sowie in der kommenden Woche von Dienstag den 11. bis Freitag den 14. Oktober. Außerdem steht das Stück am Sonntagnachmittag um 17 Uhr auf dem Spielplan des Theaterspielplatzes, Hinter der Magnikirche 4a.