Anmoderation
In urzeitlichem Brodem und dem selbstbewußtem Auftreten eines den Beinamen "der Löwe" führenden Heinrichs wurzelt die Geschichte unserer Stadt. So hat es uns das Staatstheater in seinem "Heimatabend Braunschweich Braunschweich" wissen lassen. Wie Plakate es bereits ankündigen, legt das Theater nach, womit im Sommer mehr über die Stadt und ihre Bürger im Wandel der Jahrhunderte zu erfahren ist. Doch für bare Münze sollte nicht genommen werden, was dem Publikum dabei vor Augen geführt wird. Insofern ist gerade die rechte Zeit, das Gesehene einer Prüfung durch den Verstand zu unterziehen und sich auf Zeugnisse der Geschichte einzulassen, die sich nicht schemenhaft im Theaternebel abzeichnen, sondern gewissenhaft zusammengetragen wurden und in blanken Vitrinen im Altstadtrathaus auf den Besucher und die Besucherin warten.
Beitragsteil 1
Fragen könnte man sich beispielsweise bezüglich Umganges der Stadt mit dem Wasser in seinen verschiedensten Erscheinungsformen:
Wer sich heute fragt, weswegen Straßen verlaufen wie sie laufen, weswegen Braunschweig überhaupt mehrere Rathäuser hat, der findet die Antwort im Wasser beziehungsweise im Kellergeschoß des Altstadtrathauses. Sigrid Heinen ist eine der ehrenamtlichen Kräfte, die im Altstadtrathaus Aufsicht führen und die Exponate gern erläutern.
Man sieht hier in einem Relief dargestellt Braunschweig, ursprünglich der breite Okerfluß mit den vielen Niederungen und auf einer Glasscheibe gezeichnet, die Stadt im Mittelalter um 1200 rum.
SH
In verschiedenen Farben wird der ursprüngliche Zustand des Geländes dargestellt, auf welchem sich Braunschweig im Laufe eines Jahrtausends breit gemacht hat. Da floß die Oker noch an der Burg Dankwarderode vorbei. Der Platz, auf dem sie errichtet wurde, ist im Relief gelb und dies gilt ebenso für etliche weitere Flecken, die noch heute Stadtbild eine besondere Rolle spielen.
Wenn die Besucher hier vor dem Relief sehen, können sie sehr deutlich erkennen, daß sich Braunschweig aus den fünf Weichbilden entwickelt hat. Wir sehen zum Beispiel im vorderen, südlichen Bereich die Ägiedienkirche und dort sehen wir, daß die exponiert lag, auf einer wirklich schon vorhandenen Sandbank. Das bot sich einfach an, auf Erhöhungen zu siedeln.
SH
Ebenso liegen die Altstadt mit St. Martini, die Neustadt und die Siedlung Altewiek mit St. Magni erhöht, was erklärt, daß Braunschweig neben dem Burgplatz noch mehrere kleine Unterzentren aufweist. Schritte in Richtung einer Stadt taten die Bürger und Herzog Heinrich der Löwe: Erstere, indem sie sich Rathäuser wie jenes der Neustadt, am Hagen und der Altstadt bauten, letzterer, indem er um alle fünf Siedlungskerne einen schützenden Ring aus Umflutgraben und Mauer legte. Für mehrere Jahrhunderte war zwischen den Siedlungskernen noch Platz, der allerdings erst durch Aufschüttungen bebaubar wurde. Mit der Größe der Stadt gewannen Belange der Infrastruktur an Bedeutung.
Zum Bauen war trockener Grund nötig, aber zum Leben war Wasser in vielerlei Hinsicht nachgefragt und diesen Aspekt veranschaulicht ein Fundstück, welches bei Bauarbeiten am Hagenmarkt wieder ans Tageslicht kam. Es handelt sich um einen Eichenstamm, der Besuchern schon dadurch auffällt, daß er schwarz und ungeschlacht wie er ist, eine Vitrine füllt. Bei genauerem Ansehen fällt auf, daß darin vom einen bis zum anderen Ende eine unterarmdicke Bohrung verläuft. Ernst Zöpfgen kennt den Zweck, zu der Baumstamm irgendwann vor 600 Jahren im Boden verschwand.
Das ist immer das, womit man die Leute überrascht, daß es hier schon so etwas gegeben hat. Nämlich eine Wasserleitung, die kilometerweit, in diesem Falle von der Wiesenstraße zum Hagenmarkt ... das Wasser geleitet hat, schon im Mittelalter. In ausgehöhlten Baumstämmen. Ausgehöhltes Holz heißt pipe , [peip], pipeline. Das waren damals die Wasserleitungen. Mit denen ist beispielsweise der schöne Brunnen auf dem Altstadtmarkt 1408 gespeist worden.
EZ
Die Frage, wie man damals einigermaßen rationell in tausende Eichenstämme solche Bohrungen trieb, muß der Historiker Ernst Zöpfgen offen lassen. Er spricht einen Löffelbohrer als Möglichkeit an. Eine Idee, wie ein solches Gerät ausgesehen haben könnte und wie man sich seiner bedient haben könnte, kann der Feinmechaniker Peter Dietrich, Heimatpfleger von Harxbüttel nachreichen.
Wenn Sie eine Pampelmuse aufschälen, so ähnlich ist das mit dem Löffel auch. Nur mit einem langen Stiel und einem Querholz und dann mit zwei Mann angefaßt und gedreht. Und die Verbindungen waren aus Kupfer. Und das waren die Verbindungen, die wurden innen rein gesteckt und damit wurden die verbunden.
PD
Womit sichergestellt war, daß auch das Wasser des Jödebrunnens im Südwesten der Stadt über zwei Kilometer seine Abnehmer erreichte. Auch ein Metallstück besagter Art findet sich, ziemlich korrodiert, aber klar die ursprüngliche Manschettenform aufweisend, neben dem Baumstamm in der Vitrine. Bis ins 19. Jahrhundert, als am südlichen Stadtrand, am einstigen FBZ, ein Wasserwerk mit Turm errichtet und ein modernes Leitungsnetz gelegt wurde, waren die Pipen in Betrieb. Jene Epoche kennzeichnet die Industrialisierung und ein Wachstum in die Fläche: Nach Westen, Norden und Osten. Den Stadtkern prägte noch einige Jahrzehnte uralte Fachwerkarchitektur. Die Nacht des 14. Oktober 1944 setzte ihrem Dasein ein Ende. Derzeit bildet ein Ölgemälde den Schlußpunkt der stadtgeschichtlichen Sammlung. Dieses Bild überliefert und überhöht den Abgang eines einst aus feuchten Niederungen erstandenen Gebildes. Bomben und Feuer des Zweiten Weltkrieges verzehrten es und hinterließen ein dürres Areal in Schutt und Asche.
Abmoderation Teil 1
An dieser Stelle gibt es sowohl in dem Beitrag von Markus Hiereth als auch in besagter Sammlung des Altstadtrathauses einen Einschnitt. Das Städtische Museum beabsichtigt, die dortigen Bestände mit Stücken zum Wiederaufbau und zur Nachkriegszeit fortzusetzen. Aber, fast noch wichtiger als dieses Vorhaben ist, daß diese Museumsabteilung als Ganzes mit Zuversicht in die Zukunft sehen kann. Genau um eine Zwischenbilanz ein Jahr nach der Wiedereröffnung geht es in einem zweiten Beitragsteil nach einer kurzen Musik.
Anmoderation Teil 2
Auf ehrenamtlicher Basis gewährleisten Bürger wie die im ersten Beitragsteil gehörte Sigrid Heinen und Peter Dietrich, daß die Türen des Altstadtrathauses Bürgern und Gästen dieser Stadt offen steht. Die Wiedereröffnung vom 1. April 2003 hat sich inzwischen gejährt, was Anlaß gab, in einem Beitrag eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Beitragsteil 2
Nach der mit fehlendem Geld begründeten Schließung des Juni 2002 begann im April 2003 eine zunächst auf zwei Jahre abgesteckte Wiedereröffnung durch ehrenamtliche Kräfte. Für diesen Kreis zieht einer der Initiatoren des Projektes, Ernst Zöpfgen Bilanz.
Wir haben innerhalb dieses Jahres an die 24000 Besucher gehabt. Wir haben im Gästebuch die schönste Resonanz, die man sich denken kann: Besucher aus über 50 Ländern haben sich dort lobend über die Ausstellung und auch dankbar, was die Betreuung angeht, geäußert.
EZ
Tendenziell wächst die Zahl der Helferinnen und Helfer sogar weiter, weswegen Planungen laufen, das Engagement auf weitere Felder zeitgemäßer Museumsarbeit auszuweiten. Eine der früheren Etatkürzungen des Städtischen Museums betraf die Museumspädagogik.
Ja, die entsprechende Stelle ist gestrichen worden. Also das Museum hat keinen Museumspädagogen mehr und wir versuchen, weil wir auch sehr viele Pädagogen auch in unserem Kreis der Ehrenamtlichen haben, denjenigen, die hierherkommen, zum Beispiel auch Schulklassen, begleitend zur Seite zu stehen und das haben wir neulich schon sehr schön erlebt. Frau Heinen hat ja mit einer Kollegin aus unserem Kreis und einer Dame von der Waldorfschule hier ein solches Projekt unterstützt, das ist sehr gut angekommen.
EZ
Mit viel Enthusiasmus modellierten ihre Schülerinnen und Schüler das Braunschweiger Stadtmodell in Ton. Nun ist geplant, Viertklässler über eine Rallye an die Stadt- und Heimatgeschichte heranzuführen. Noch für zwölf weitere Monate hat die Stadt den Ehrenamtlichen ein Betätigungsfeld vorbereitet und überlassen. Davon, daß dies im Interesse aller war der eingeschlagene Weg auch über den April 2005 hinaus weiter verfolgt werden soll, sind Ernst Zöpfgen und seine Mitstreiter überzeugter denn je.
... wir sehen auch dem nächsten Jahr optimistisch entgegen, daß es so weiter geht. Daß wir vielleicht sogar manches noch ausbauen können an Service, wenn wir es so nennen wollen und wir rechnen fest damit, daß das anschließend verlängert wird, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß nach alledem, wie die Resonanz war, man eines Tages sagt, 'Und jetzt machen wir es trotzdem zu und räumen alles aus!'. Wer macht schon sein Schaufenster dicht.
EZ
Abmoderation
Nachdem dieser Beitrag anläßlich der einjährigen Wiedereröffnung des Altstadtrathauses hoffentlich Ihren Appetit auf Stadtgeschichte geweckt hat, dürfen wir Ihnen natürlich keinesfalls die Öffnungszeiten vorenthalten. Diese sind täglich außer montags und samstags von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist - hier wie auch im Haupthaus des Städtischen Museums - frei.