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Markus Hiereth Radio Okerwelle, Braunschweig
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kultur/0402me
02.2004

DER MESSIAS
Oratorium und Ballett am Staatstheater Braunschweig

Anmoderation

Im Dublin des Jahres 1742 wurde "Der Messias" uraufgeführt und geriet zu einem überwältigenden Erfolg für den Komponisten Georg Friedrich Händel. Als Premiere vermerkte der Spielplan des Staatstheaters das Oratorium für vergangenen Samstag den 7. Februar. Eher unauffällig - vermittelte die Namensliste unter dem Titel, daß es sich um eine Coproduktion der Sparten Musiktheater und Ballett handle. Bei Oper, Operette und Musical eher reserviert, an modernem Tanz aber immer interessiert, überwog bei Markus [Hiereth] natürlich die Neugier, sich die Produktion anzusehen und seine Eindrücke hier wiederzugeben.

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Beitrag

Was der Komponist dazu gesagt hätte - muß Mutmaßung bleiben. Doch möge er wohlwollend aufnehmen, daß sich ein Dreierteam aus Gastdramaturgin Katharina Schmidt, Gastregisseur Roman Hovenbitzer und Ballettchef Henning Paar seinen berühmten "Messias" vornahm und ihn als weltlich geerdetes und zeitgemäßes Ovotorium, also als ein Oratorium rund um das Ei, inszenierten. Würde und Kunstgenuss am Werk schmälert dies keineswegs, denn wer sich des Hörens wegen im Staatstheater einfand, den enttäuschten die Gesangssolisten, der Chor und das Orchester des Staatstheater unter Georg Menskes nicht.

Doch was tragen die Bühnenbildnerin Anna Siegrot, Roy Spahn als für die Kostüme Verantwortlichen und vor allem das Ballett bei? Allgemein gesagt, haben alle ihren Anteil daran, dass uns die fertige Inszenierung Bilder vermittelt, welche die Unvollkommenheit der weltlichen Verhältnisse illustrieren und die dennoch die Suche nach Vollkommenheit nie in Frage stellen. Hier wird nicht von einem konkreten "Messias" erzählt, worin sich das Staatstheater durchaus auf einer Linie mit den Händels Werk zugrunde liegenden Zeilen befindet, denn diese sind vor allem dem Alten Testament entnommen und es ist ja nur die christliche-neutestamentliche Lesart, dass der gekreuzigte Jesus jener Messias sei, dessen Kommen das Alten Testament prophezeit.

Durch die Vermeidung eindeutiger Zuordnungen gewinnt das Werk, denn die Inszenierung bietet nichts, was einfach abzuhaken wäre. Präsentiert wird ein sich permanent umstrukturierendes Bilderrätsel. So wandelt sich der Chor, begegnet uns zunächst als eine Art von Brüdern und Schwestern der Wüste, später als unwissendes Kirchenvolk. Den Solotanz zur Arie vom "Mann der Schmerzen" kann auf Jesus beziehen, wer möchte - physisches Leiden, Mißhandlung und ein Sterben in der konkreten biblischen Beschreibung bleiben außen vor. Und wenn bei Händel der Jubel über Gott in einem konzertanten Finale durchbricht, balanciert nicht der Schmerzensmann von zuvor, sondern ein neuer Tänzer seine Figuren in nächster Nähe einer nach wie vor eher unaufmerksamen Menschheit.

Alte Zöpfe sind also in der Requisite geblieben, stattdessen schneidet der neue "Messias" zeitlose Menschheitsfragen an: Wie nehmen Menschen ihnen Fremdes an und ihnen Fremde auf? Welchem Begehren folge ich in meinem Leben? Immerhin einen Schlüssel liefern Hovenbitzer und Paar, indem sie sich der populärsten Geschichte der Kirche, nämlich der von Weihnachten bedienen, um die Zuschauer zur Kernidee ihrer Produktion zu führen. Wer Heil, Heilung und Heiliges finden möchte, hat gut aufzupassen, denn all dies liegt verborgen unter einer zerbrechlichen Schale. Niemand hat Mittel und Macht, es zur Unzeit von dort hervorzuholen. Da mögen Menschen zwar die Äpfel gleich groß und ein Schaf zum Zwilling seiner Mutter gemacht haben - das, was unter der Eischale wartet, nimmt sich heute, wie einst in Noahs Zoo, seine 21 Tage, bis es sich an den hellen Tag pickt.

Wenn da die Frist, die wir der Offenbarung etwas größerer Rätsel einräumen müssen, länger ausfällt oder gar nicht in Tagen zu benennen ist, braucht dies kein Grund für Traurigkeit sein. Im Gegenteil, kindlich verspielt rollen und überrollen Paars Tänzerinnen und Tänzer den kolossal vergrößerten, symbolhaft in Händels Nest gelegten Gegenstand. In der Abschlusszene holen ihn die Damen und Herren des Chores mit freudigen Mienen aus ihren Tornistern, während eine Ebene höher, in Anspielung auf eine Dreifaltigkeit oder die guten Dinge, die nach ganz profaner Überzeugung drei sind, Dreierlei eine Art Weihe empfängt: Das körperliche Wohlergehen, die Liebe von Mensch zu Mensch und, in der Mitte, ein rätselhaftes Drittes, durch Schönheit und vielleicht auch durch Sinn, die Menschheit Einigendes.

Abmoderation

Im Februar zeigt das Staatstheater seine "Messias"-Inszenierung zweimal, und zwar diesen Samstag, den 14. sowie am Dienstag den 24. jeweils um 19h30.